Kant

Kant

Kant, Immanuel, der größte u. jedenfalls einflußreichste Philosoph der Neuzeit, geb. 1724 zu Königsberg, der Sohn eines Sattlers, studierte seit 1740 Theologie, nebenbei besonders Mathematik und Philosophie, wurde Hauslehrer, 1755 Magister in seiner Vaterstadt, erlangte erst 1770 den Lehrstuhl der Logik u. Metaphysik und nunmehr rasch einen europ. Namen, legte 1794 seine Stelle nieder, wurde kindisch u. st. 1804: nachdem er 70 größere u. kleine Schriften geschrieben. Keiner hat die Beschränktheit des menschlichen Denkens in den höchsten Fragen des Wissens u. Lebens besser dargethan als K. in seiner »Kritik der reinen Vernunft« (1781), keiner zugleich ein gewichtigeres, obwohl indirectes Zeugniß für die Nothwendigkeit des religiösen Glaubens abgelegt als derselbe K. durch seine »Kritik der practischen Vernunft« (1788). Gegen Locke, die franz. Materialisten u. Wolf sich wendend und an Hume (s. d.) anknüpfend, brachte er den seit Descartes (s. d.) herrschenden Dogmatismus der Philosophie zum Bewußtsein und hob denselben auf, indem er unser Erkenntnißvermögen der schärfsten aller bisherigen Untersuchungen unterwarf. K. gründete sein System auf die Anthropologie; er findet in den 12 Urtheilsformen des Verstandes die 12 Grundbegriffe desselben. Empfindungen geben dem Verstande Inhalt u. Stoff zu Vorstellungen; nimmermehr aber gelangen wir über die Empfindungen hinaus zu den Dingen, wie diese an sich, ihrem Wesen nach sind. Die Kategorien (s. d.) sagen nur, wie die Verhältnisse der Dinge unter sich gedacht werden müssen und daß sie dieses allen gesund organisirten Menschen gleichmäßig sagen – ist das Einzige, was K. dem Skepticismus entgegenzusetzen weiß. Selbst die Möglichkeit, das thatsächliche Vorhandensein von Dingen außer uns und in uns zu beweisen, kritisiert er so scharf hinweg, daß man gar nicht mehr einsieht, wie seine Philosophie zu sich selbst den Eingang fand u. andern trotz der abstrusen Form vorgetragen werden konnte. Sogar die allgemeinsten Formen aller Sinnenobjecte, nämlich Raum u. Zeit, läßt K. nicht einmal als Abstractionen vom Außer-, Neben- und Nacheinandersein der Dinge geschweige als objectiv bestehend, sondern lediglich als todtes Fachwerk. als Handlungsweisen des Gemüthes im Zustande der Anschauung, kurz als »Schemata der sinnlichen Anschauung« gelten. Der Verstand hat es mit Begriffen und Urtheilen, die Vernunft mit Ideen u. Schlüssen zu thun; im weitern Sinne umfaßt der Verstand jedoch das gesammte Erkenntnißvermögen, ist daher mit der »reinen Vernunft« eins, doch nimmt K. eine reine Vernunft im engern Sinne an. welche durch ihre Regeln Einheit und Zusammenhang in den Verstandesgebrauch bringt. Der Verstand strebt nach den Ideen der Vernunft im engern Sinne, weil diese Ideen Unbedingtheit und absolute Vollständigkeit geben sollen, allein sie sind nichts als leere Verfahrungsweisen der Vernunft, in letzter Instanz eben auch nur Denkgesetze. Wie viel Verbindungsweisen der Urtheile zu Schlußformen soviel Ideen, folglich 3 Ideen, von denen jede auf ihre Weise Vollständigkeit des Erkennens anstrebt. Auf Begriffe gebracht und mit Hauptwörtern benannt ergeben sich die 3 Ideen oder Vernunftkategorien als: 1) Idee der Substantialität = Seele; 2) Idee der absoluten Bedingtheit – Welt u. 3) Idee des Inbegriffes alles Möglichen und diese als Wirklichkeit gedacht = ens realissimum, Gott. Auf solchem Fundamente ließe sich eine rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie, kurz eine Metaphysik schon aufbauen, wenn nur die 3 Ideen etwas Wesenhaftes in der Wirklichkeit wären. Aber es sind nur »regulative Principien des Verstandes«. Gesetze der subjectiven Vernunftthätigkeit, welche dem Verstande befehlen, nach absoluter Vollständigkeit des Erkennens zu streben, während der Verstand die Vernunft niemals in sein Gebiet der Erfahrung dringen und sie niemals die Dinge erfassen läßt, wie dieselben an sich sind. So ist die Substanz ohne Sein, sobald ihre Accidenzen hinweggenommen werden, selbst die Wirklichkeit der Seele beruht nur darauf, daß wir keine Accidenzen ohne tragende Substanz zu denken vermögen, aber der hiebei gemachte Schluß ist zugleich ein Fehlschluß, insofern nur die Modificationen u. niemals die Substanz der Seele rein an sich uns bewußt werden. Hinsichtlich des Weltganzen ergeben sich die merkwürdigen Antinomien (s. Antinomie), in Folge deren wir einen Anfang oder eine Gränze der Welt, endlose Theile der Substanz, endlose Ursachen und eine oberste immanente Ursache der Welt gerade so gut zu beweisen als zu widerlegen vermögen. Gott endlich, K.s Ideal der reinen Vernunft, ist gar nichts als die Form des disjunctiven Schlusses in abstracto, der logische Begriff der absoluten Vollständigkeit u. Vollkommenheit eines Ganzen, und daß reale Existenz keineswegs zu den Prädikaten der Vollkommenheit gehöre, hat K. selber gegen den ontologischen Beweis für das Dasein Gottes geltend gemacht. – Was K.s Kriticismus aus dem Reiche des Daseins in das Nichts hineindekretierte, suchte er in der Kritik der praktischen Vernunft wieder herbeizuholen und stellt als Postulate derselben Freiheit, Unsterblichkeit und Gott auf, für Dessen Dasein zugleich den sog. moralischen Beweis; aber so scharfsinnig seine Schriften in dieser Richtung sind, so gewaltigen Einfluß sein sittlicher Rigorismus und seine politische Freisinnigkeit, seine Gedanken über den ewigen Frieden, Humanität, Religion innerhalb der Gränzen der Vernunft, Harmonie der Welt u.s.w. auf Herder, Schiller, auf die wissenschaftliche und schöne Literatur überhaupt ausübten – man gelangt nur durch einen gewaltigen Sprung aus der Sahara der theoretischen Vernunft in die grünen Auen der praktischen. K.s Werke durch Rosenkranz (12 B.), die Kritik der reinen Vernunft neuestens durch Hartenstein (Leipzig 1853); vgl. Chalybäus: Histor. Entwicklung der specul. Philos. von K. bis Hegel. 4. Aufl. Dresd. 1848.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

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