Hegel

Hegel

Hegel, Georg Friedrich Wilh., Philosoph u. Begründer des H.ianismus, geb. 1770 zu Stuttgart, studierte mit Schelling zu Tübingen, wurde Hauslehrer in der Schweiz, später zu Frankfurt a. M., begann 1801 philos. Vorlesungen in Jena, ärntete bei seinem elenden Vortrage wenig Beifall, mehr dagegen durch die Schrift: »Differenz des Fichteʼschen und Schellingʼschen Systems der Philosophie«, worin er als Vertheidiger des Schellingianismus auftrat. Nachdem er mit Schelling das kritische Journal der Philosophie herausgegeben hatte u. 1806 kaum Prof. geworden war, trieb ihn der Krieg nach Bamberg, wo er ein polit. Blatt redigirte, bis er 1808 Rector in Nürnberg wurde, wo er 1812–16 sein Hauptwerk, die Logik, schrieb. Einem Rufe nach Heidelberg folgend stellte er hier zum erstenmal in der Encyklopädie der philos. Wissenschaften (1817) sein System als Ganzes dar, ging schon 1818 nach Berlin, um den seit Fichteʼs Tod verwaisten Hauptlehrstuhl der Philosophie einzunehmen, gewann durch die Gunst der Mächtigen sowie durch eine Menge talentvoller Schüler großen Einfluß im Staate, in der Wissenschaft u. Kunst, st. jedoch schon 1831 an der Cholera. Gesammtausgabe seiner Schriften Berlin 1832–41, 18 B., Lebensbeschreibung von K. Rosenkranz, Berlin 1844. Ein Urtheil über H.s logischen Pantheismus, dessen Kern: Selbstvergötterung und Atheismus, am frühesten von F. Schlegel u. vom Geschichtschreiber Leo enthüllt wurde, ist bereits im Art. Deutsche Philosophie, Band II. S. 352 gegeben. Was Schelling unbewiesen gelassen, nämlich 1) daß die Gesetze der Natur und Wirklichkeit denen unseres Geistes entsprechen, somit Sein u. Denken identisch seien, ferner 2) wie wir zur intellectuellen Anschauung der Welt als eines organischen Ganzen gelangen, dies versuchte H. zu beweisen. Die Voraussetzung, daß das denkende Ich das Höchste sei, war dabei ebenso nothwendig als abgeschmackt; nothwendig, denn um jenen Beweis zu liefern, muß man vorher das Universum bis ins Einzelnste erkannt u. somit die absolute Wissenschaft inne haben; abgeschmackt, weil auf den Thron Gottes ein Professor sich setzte und dafür recht augenfällig mittelbar beweisen mußte, daß er eben doch nicht Gott, sondern nur ein Doctor philosophiae des 19. Jahrh. sei. Fruchtbar u. verdienstlich ist übrigens die Methode des H.ianismus, als deren Entdecker Fichte senior betrachtet werden muß und welche in bescheidenen Stunden H. selbst als das Bleibende an seinem schematisirten und rubricirten Begriffsall betrachtete. Dieselbe bewegt sich von der Thesis, Setzung (z.B. Eins) fort zur Antithesis, Entgegensetzung (z.B. Nichteins) und gewinnt durch verneinende Zusammenfassung beider, durch die Synthesis, einen neuen Begriff (z.B. Vieles), der wieder zur Thesis, Antithesis u.s.w. wird. In seiner Phänomenologie lieferte H. die Entwicklung der Bildungsepochen des Bewußtseins auf seinem Wege zum philos. Wissen (Meinen, sinnliche Gewißheit, Verstand, Selbstbewußtsein, Geist, Religion, absolutes Wissen, Wissenschaft), die »Entdeckungsreisen des Geistes«. Uebersichtlich zerfällt sein System: I. in Logik, welche Metaphysik sein und vom reinen Sein ausgehend das Universum in lauter pure »anschauungslose« Vernunftbegriffe verwandeln, dieselben dialectisch auseinander ableiten und zum Systeme gestalten soll. Das mit bewunderungswürdigem Scharfsinne geschriebene Werk enthält a) die Lehre vom Sein (Qualität, Quantität, Maß); b) vom Wesen (Wesen als solches, Wesen u. Erscheinung, Wirklichkeit) u. c) die Lehre vom Begriff, von der vernünftigen Nothwendigkeit (subjectiver Begriff, Objectivität, Idee). Die II. Naturphilosophie enthält die Mechanik (System der Schwere), Physik (Lehre von der unorganischen Natur) u. Organik (Mineral-, Pflanzen- u. Thierreich). Hier werden die Mängel des Systems offenbar; H. vermochte den pomphaft verkündigten Satz: nur das Wirkliche sei das Wahre und nur die Wahrheit die Wirklichkeit, nirgends zu beweisen geschweige durchzuführen, die Natur hatte auch für ihn noch wie für uns zahllose Räthsel und deßhalb fertigte er die Natur kurz ab als »den sich entfremdeten, außer sich selbst gekommenen Geist, als einen bacchantischen Gott, der sich nicht zügelt noch faßt«. Desto reicher gedieh III. Die Philosophie des Geistes, zumal es galt, alles Fühlen und Glauben, die edelsten Empfindungen des Herzens, alle Gottesfurcht gewaltsam »zum Bewußtsein zu bringen.« Sie zerfällt a) in die Lehre vom subjectiven Geist und behandelt die Anthropologie (Naturgeist), Phänomenologie (bewußter Geist, das Ich) und Pneumatologie (Geist als solcher). Die b) Lehre vom objectiven Geist (Gesammt- oder Weltgeist) enthält die Rechtsphilosophie (Recht ist = der Wille der Allgemeinheit; das erste Gebot = sei eine Person und respectiere andere als Personen, in der That aber die Vernichtung jedes einzelnen Willens, welcher sich dem Gesammtwillen nicht fügen mag, daher H. die Todesstrafe eifrig vertheidigte); die Moral als Lehre vom pflichtmäßigen Handeln aus Gründen des Gewissens (das Gute ist – Versöhnung des Einzelwillens mit dem Gesammtwillen); die Sittlichkeitslehre, worin das Sittliche als Einheit des subjectiven und objectiven (sein sollenden) Guten aufgefaßt, von der Familie, bürgerl. Gesellschaft und Polizei verhandelt wird; endlich die Lehre vom Staate, worin H. den Staat als die bestehende Vernunft bespricht und der altheidnischen Staatsallmacht feurig das Wort redet; einerseits derjenigen Verfassung huldigt, welche den Monarchen nur als »Tüpfelchen auf dem i« gelten läßt, anderseits den Ständen nur das Recht zugesteht, sich zu überzeugen, »daß gut regiert werde« u. solches dem Volke zu verkündigen. Der c) absolute Geist offenbart sich unmittelbar u. für die sinnliche Anschauung als Schönes in den Künsten, von denen die Poesie den Uebergang zur Religionsphilosophie macht. Unter allen Religionen ist die »offenbare« d.h. christliche die höchste, weil sie in der Person Christi den Gottmenschen d.h. denjenigen Philosophen des Alterthums schaut, der mindestens auf der untergeordneten Stufe der Vorstellung bereits als absoluter Geist sich wußte und weil die Trinitätslehre einen Hintergrund für H.s Methode abgibt. Streift man laut H. vom Christenthum nur die Form der religiösen Vorstellung ab, so erklimmt man die absolute Philosophie, d.h. die Philosophie des Gedankens, der sich selbst als alle Wahrheit weiß und das gesammte Universum, das natürliche sowohl als das geistige, aus sich selbst heraus reproducirt. – Bekanntlich gewann der H.ianismus in Preußen (vergl. Altenstein) und von da aus in andern Staaten mehr oder minder die Bedeutung einer Staatsreligion, seine Wirkung auf die Literatur, namentlich auch auf die theolog. der Protestanten war ungeheuer, aber er kam in Mißkredit, indem unter seinen Anhängern die Dichter ihre Theorien der Revolution darauf bauten, die Philosophen, H.ianer oder H.inge, von denen wir Erdmann, Gabler, Göschen, Gans, Michelet, Rosenkranz, Marheineke, Ruge, Feuerbach, Vischer, Zeller, Carriere, Bruno Bauer und namentlich Strauß nennen, sich in 3 Parteien spalteten, von denen die Linken als die folgerichtigsten nur noch »vom Stück Fleisch, das an der Gabel steckt«, philosophirten, die Linkesten, z.B. Max Stirner, den Atheismus und Communismus zur äußersten Spitze des Unsinnes trieben und selbst den L. Feuerbach (s. d.) einen »Pfaffen« schalten. Der Religion und Kirche haben die H.ianer sehr wider Willen wesentliche Dienste geleistet u. namentlich jene verzweifelnde Theilnahmlosigkeit für Philosophie hervorgerufen, welche gegenwärtig die Oberhand gewinnt. Vergl. Staudenmaier, Darstellung und Kritik des H.schen Systems, Mainz 1844.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

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