Vernunft

Vernunft

Vernunft (von vernehmen, lat. ratio woher das ital. ragione, franz. raison, engl. reason), die das Uebersinnliche, das Wesen der Dinge inne werdende Geisteskraft, das Vermögen der Ideen oder Principien, das Wesen des menschlichen Geistes, wodurch dieser ein Ebenbild Gottes und so hoch über die Thierwelt gestellt ist, als die Unendlichkeit über das Endliche. Sie liegt als Anlage in der Menschenseele, ihr archimedischer Punkt ist das geistige Selbstbewußtsein (s. Bewußtsein), endlich muß sie durch Erziehung, Leben und Wissenschaft entwickelt werden und ist einer Unzahl von Verkümmerungen u. Verirrungen fähig. Im gemeinen Verkehr werden die Ausdrücke V. und Verstand gleichbedeutend gebraucht, die Philosophen seit Aristoteles Zeit thaten dies gleichfalls und bezeichneten mit beiden Ausdrücken eben das Erkenntnißvermögen des Menschen in seiner höchsten Potenz, aber seit Kant unterschied man V. und Verstand sehr scharf, übrigens ohne die Unterscheidungen objectiv genügend zu begründen. Kant selber faßte den Verstand als das Vermögen der Begriffsbildung, die V. aber als Vermögen der Ideen; seine Nachfolger faßten den Verstand ähnlich, Fichte aber muthete der V. zu, rein aus sich selbst und völlig voraussetzungslos das ganze System des Wissens zu deduciren, Schelling machte sie in der That zur Trägerin der sog. absoluten Erkenntniß, Hegels Logik sollte die wissenschaftliche Darstellung und Entwicklung der reinen V. begriffe od. Ideen sein, worin er vom einfachsten u. keiner weiteren Begründung bedürftigen V. begriffe, dem des reinen Seins, ausgehend, durch die dialectische Methode zu immer reicheren Begriffen fortschreiten und das ganze System des reinen V.wissens ableiten u. darstellen wollte; s. Kant, Fichte, Schelling, Hegel. – Empirische V., die V., insoweit sie durch die Erfahrung bestimmt wird, im Gegensatz zur reinen od. transscendenten, ursprünglich bestimmten; endliche oder relative V., die menschliche im Gegensatz zur unendlichen, absoluten od. göttlichen; spekulative od. theoretische V., die im Gebiete der Erkenntniß sich bewegende im Gegensatz zur praktischen od. moralischen, welche es mit dem Wollen und Handeln des Menschen zu thun hat; Vernünftigkeit, der Besitz von V., V. religion, s. Religion; vergl. Rational, Rationalismus.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Vernunft — Vernunft: Das nur dt. Substantiv mhd. vernunft, ahd. vernumft ist eine Bildung zu dem unter ↑ nehmen behandelten Präfixverb vernehmen in dessen veralteter Bedeutung »erfassen, ergreifen« (beachte zur Bildung z. B. das Verhältnis von »Zukunft« zu… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Vernunft — und Verstand, zwei Bezeichnungen für die höhern Funktionen des menschlichen Vorstellungslebens. Nach Kant bringt der Verstand die Beziehungen des Begriffsinhalts in Urteilen zum Bewußtsein (Verstandesbegriffe), während die Vernunft ganze Massen… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Vernunft — [Aufbauwortschatz (Rating 1500 3200)] Bsp.: • Das brachte ihn zur Vernunft …   Deutsch Wörterbuch

  • Vernunft — (von vernehmen), bezeichnet die Fähigkeit od. das Vermögen etwas zu vernehmen, was die sinnliche Wahrnehmung überschreitet u. in das Gebiet geistiger Objecte u. Verhältnisse fällt, welche entweder eine theoretische Erkenntniß od. eine ästhetische …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Vernunft — (Ratio), im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauches die den Menschen vom Tier unterscheidende höhere geistige Kraft, also das Vermögen der den kenden Verarbeitung äußerer Eindrücke, der Bildung von Begriffen und Schlüssen. Sofern die V. ihr Gesetz …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Vernunft — Vernunft. Bildet der Verstand aus sinnlichen Wahrnehmungen Begriffe, so ist dagegen die V. das eigentliche ideale Denkvermögen, da sie die angeborenen, in unserem Inneren ruhenden Ideen der Nothwendigkeit, Freiheit, Ewigkeit etc. herausbildet,… …   Damen Conversations Lexikon

  • Vernunft — ↑Dianoia, ↑Eubulie, ↑Logos, ↑Räson, ↑Ratio …   Das große Fremdwörterbuch

  • Vernunft — Sf std. (9. Jh.), mhd. vernu(n)ft f., ahd. firnumft, firnunst Stammwort. ti Abstraktum zu vernehmen, mhd. vernemen, ahd. firneman (nehmen). Zur Lautform s. Kunft. Adjektiv: vernünftig. ✎ Baumgartner, H. M. in Rationalität. Hrsg. L. Scheffczyk… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Vernunft — Mit Vernunft als philosophischem Fachbegriff wird die Fähigkeit des menschlichen Geistes bezeichnet, von einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen auf universelle Zusammenhänge in der Welt zu schließen, deren Bedeutung zu erkennen und danach zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Vernunft — Grütze (umgangssprachlich); Denkvermögen; Verstand; Grips (umgangssprachlich); Geist; Köpfchen (umgangssprachlich); Scharfsinnigkeit; Denkfähigkeit; Intelligenz; …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”