St. Gallen [2]

St. Gallen [2]

St. Gallen, die weltberühmte Benedictinerabtei, gründete zur Bekehrung der Alemannen der hl. Gallus (s. d.), an dessen Grabe sehr früh Pilger beteten, Sie hob sich namentlich unter dem Abte St. Audemar oder Othmar aus Chur, der um 719 Abt wurde, an der Stelle der Lebensweise Columbans die Regel Benedicts einführte, viel baute und durch sein frommes Beispiel so wirkte, daß die Zahl der Mönche außerordentlich wuchs u. Tegernsee in Bayern seine ersten Mönche von hier aus bekam. Pipin verlieh S. G. freie Abtswahl u. Güterverwaltung. Othmar aber, der 2. Stifter, st. 759 als Gefangener zu Stein am Rhein; der Bischof Sidonius von Konstanz hatte sich nämlich mit 2 raubsüchtigen Grafen verbündet, um die Klostergüter wegzunehmen und seine Absicht besonders dadurch erreicht, indem er den Abt Othmar durch einen bestochenen Zeugen des Ehebruchs anklagen und einsperren ließ. Die Kämpfe mit den Bischöfen wegen der freien Abtswahl und Güterverwaltung dauerten fort bis 854 und hemmten die gedeihliche materielle Entwicklung des Klosters; dagegen war S. G. ein Sitz der Wissenschaften und Künste; während 1291 in dem reichen Stift weder der Abt noch einer seiner Mönche seinen Namen zu schreiben vermochte, las man in dem armen Kloster früh im 8. Jahrhundert lateinische Bibelübersetzungen, den Seneca und andere Classiker, schrieb ein ordentliches Latein und manches selbstständige Werk. Unter den Aebten Gozbert (trat ab 836), Grimald (st. 872), Hartmot (st. 895) und unter dem Bischof Salomo III. von Konstanz (st. 920) wurde S. G. berühmt durch seine Baukünstler, im Kirchengesang ein Muster für Europa, schrieb man Werke aller Art unübertrefflich schön auf Pergament ab, machten sich die Mönche Kero und Ruodpert bereits um die deutsche Sprache verdient, war an tüchtigen Schriftstellern und Lehrern kein Mangel, leuchteten allen voran Ratpert, Tutilo und Notker der Stammler, ersterer ein Meister im Lehrfach und tüchtiger Lateiner, der zweite ein Dichter, Sänger, Virtuos in der Musik, Maler, Baukünstler u. Bildschnitzer, Notker ein Meister des Gesanges, entstand endlich in S. G. »Salomos Wörterbuch«, eine Encyklopädie des Wissens der damaligen Zeit. Im 10. Jahrh. widerstand S. G. einem Hunnenhaufen (925), brannten Kloster und Schule ab, wollten Raubanfälle nicht aufhören, kamen Mißwachs und Verläumdungen beim Kaiser, aber das Kloster blühte fort und erst Gerhard (990–1001) eröffnete die Reihe der unwürdigen Aebte. Es lebten die 4 Ekkeharde und Notker (s. Ekkehard und Notker), lehrten und schriftstellerten die 2 Hartmann, Hepidan und viele andere, malte Kunibert, der spätere Abt von Niederaltaich in Bayern. Das Kloster war so reich und mächtig geworden, daß schon Abt Notker (st. 975 s. der eine adelige Akademie gründete und einen prächtigen Behälter für seltene Thiere baute, sich von Adeligen bedienen ließ u. ein Hausgesinde von 170 Leibeigenen hielt. Der Abt stand unmittelbar unter dem Papste, wurde ein Fürst des hl. römischen Reichs, ließ sich beim Antritt der Regierung durch kaiserliche Gesandte mit den Reichsregalien und Lehen der stiftischen alten Landschaft sowie der Grafschaft Toggenburg belehnen und besaß auf dem Reichstag Sitz u. Stimme. Unter Kaiser Heinrich IV. begann entschieden der Zerfall, einzelne treffliche Aebte und Gelehrte vermochten denselben nicht aufzuhalten. S. G. sank zu einem Stifte für lauter Adelige herab, Soldatenäbte sicherten zwar den Bestand des Stiftes gegen das Faustrecht, aber von Gelehrsamkeit u. geistlichem Leben verschwand fast jede Spur. Innocenz III. gab 1212 dem Abte die Insul, doch mehr als einem war es nur wohl in Pferdeställen, auf der Jagd und bei Gelagen, die Stiftsherren hausten jeder für sich in einem eigenen Hause und nahmen nur gezwungen die höhern Weihen, endlich wollte gar niemand mehr Stiftsherr werden. Abt Heinrich von Gundelfingen, der »gekrönte Maulesel und Kapaun« mußte auf dem Konstanzer Koncil seiner Würde entsagen, Abt Eglolph aus St. Blasien (st. 1412) brachte wieder Bewohner ins Kloster und begann die Reform, 1451 trat das Stift der Eidgenossenschaft bei (der erste unter den s. g. zugewandten Orten), unter Ulrich Rösch (1463–91) lebten auch Kunst und Wissenschaft von neuem in S. G. auf. In der Reformationszeit blieb Abt Franz Geisberg der Kirche standhaft getreu, obwohl alles um ihn, die Stadt S. G. voran, abfiel; dafür mußte er erleben, wie die Züricher und Berner das Stift kannibalisch verwüsteten, die Mönche mit Ausnahme von vier jungen, die der neuen Lehre huldigten, gefangen setzten und mußte in seinem eigenen Schloß zu Rorschach 1529 selbst als Gefangener sterben. Die Schlacht bei Kappel brachte einen Umschwung; das Stift wurde wieder hergestellt, die katholische Religion in einem großen Theil der Stiftslande wieder eingeführt und unter einer Reihe von trefflichen Aebten (Diethelm 1532 bis 1564. mit Recht der »dritte Stifter« genannt, der wohlthätige Kunz 1564 bis 1577, der gelehrte Joachim Opfer 1577 bis 1594, Bernh. Müller 1594–1630, der fromme Pius Reher 1630–1654, der für die Klosterdisciplin eifernde Gallus Alt 1664–1687) konnte zwar S. G. seinen uralten Glanz gleich andern altberühmten Klöstern nicht wieder erringen, doch daran trugen die gänzlich veränderten Zeitverhältnisse die meiste Schuld und S. G. stand ehrenvoll da, Cölestin Sfondrati, Abt 1687, vorher Professor der Theologie zu Kempten, S. G. und Salzburg, gest. 1696 als Cardinal, war ein berühmter und fruchtbarer Schriftsteller (Secretum D. Thomae revelatum; Gallia vindicata; Nodus praedestinationis dissolutus), mancher Klosterherr von S. G. ward als Reformator oder Lehrer der Theologie nach Italien, Frankreich u. ins deutsche Reich berufen. Als Schriftsteller mögen genannt sein: Moriz Enk (st. 1575), Jodok Metzler (st. 1639), Magnus Brüllisauer (st. 1646), Hermann Schenk (st. 1706). Eine Bestätigung des Sprichwortes, daß unter dem Krummstabe gut wohnen sei, liegt in der Thatsache, daß sich die weltliche Herrschaft des Stiftes weit länger erhielt, als bei der Feindseligkeit der protestantischen Nachbarn zu erwarten stand. Langwierige Händel mit Toggenburg arteten im Anfang des 18. Jahrh. in einen Religionskrieg aus und bewirkten, daß die Züricher und Berner die Stiftslande wiederum besetzten, der Abt Rudolfi vermochte durch den Frieden von 1718 den Wirren kein Ende zu machen; als 1755 dies endlich geschehen, kam schon 1767 mit dem Abte Beda Angehen, einem unermüdlichen Schuldenmacher und elenden Regenten, der Geist des Aufruhrs in die Stiftslande. Nachdem vollends von den Neufranken die Schweizer mit dem Revolutionsfieber angesteckt worden waren, erklärte am 17. Sept. 1798 das helvetische Directorium die mehr als 1000jährige Herrschaft des Stiftes und dieses selbst für aufgelöst, doch erst 1805 wurde die Aufhebung thatsächlich ins Werk gesetzt. Dem letzten Abt (Angehen war 1796 gestorben), Pancratius Förster, wurde später in Vorschlag gebracht, das Kloster ohne die weltliche Herrschaft wiederum herzustellen, doch ging er auf dieses nicht ein. 1823 wurde ein eigenes Bisthum S. G. errichtet und mit dem Bisthum Chur verbunden, aber schon 1833 löste ein Gewaltsstreich der Regierung von S. G. die Verbindung mit Chur auf, sie nahm die geistliche Herrschaft selber in die Hände. 1836 willigte der Papst in die Trennung von Chur und machte J. P. Mirer zum apostol. Vicar für S. G., aber erst 1847 wurde das Bisthum canonisch organisirt u. der apostol. Vicar zum ersten Bischof desselben ernannt. Vergl. das Freiburger Kirchen-Lexikon von Wetzer und Welte IV. 277 ff.


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