- Tractarianismus
Tractarianismus od. Puseyismus, von den Anhängern Anglokatholicismus genannt, die Richtung innerhalb der engl. Hochkirche, welche anfangs der 30er Jahre durch die Zerrüttung des Hochkirchenthums, die schwankend u. mitunter feindselig gewordene Stellung der Wighregierung zu letzterem, durch das Ueberhandnehmen des Sektenwesens einerseits, sowie durch die wachsende Macht des Katholicismus anderseits ins Leben gerufen wurde. Man wollte Neubelebung des religiös-kirchlichen Sinnes, um den sich stets mehrenden Rücktritten zur kathol. Kirche ein Ende zu machen und dem Staate gegenüber eine selbständige Stellung zu gewinnen, bekämpfte das Princip der Subjectivität, damit aber das Lebensprincip des Protestantismus, und kam wider Willen dem Katholicismus immer näher. Hauptvertreter des T. wurden Pusey (spr. Piusih) und Newmann (s. Puseyiten, Newmann), ferner Keble, Christie, Palmer, Percival u.a.m., die 1833–41 ihre Ansichten in tracts for the times (zeitgemäße Abhandlungen) niederlegten (woher der Name T.). Während eine Menge Tractarianer seitdem zur kathol. Kirche zurückgekehrt ist, blieben noch mehre auf halbem Wege stehen; ihre gemeinsamen Ansichten sind im Allgemeinen folgende: Die engl. Kirche ist die ächte altkatholische, durch die Reformation des 16. Jahrh. nur von Mißbräuchen und Irrthümern geläuterte, ihr Fundament die apostolische Succession u. die bischöfliche Ordination, der Episcopat eine von Gott eingerichtete Anordnung; die Kirche hat das Recht der authentischen Schriftauslegung, die Tradition der 5 ersten Jahrh. ist Norm für alle Zeiten; zur Rechtfertigung gehören Glaube u. gute Werke, dieselbe ist ein geheimnißvolles Einwohnen und Gegenwärtigsein Christi durch den hl. Geist in der menschlichen Seele, bewirkt durch die Sacramente der Taufe und des Abendmahls: über die Art und Weise der Gegenwart Christi im Sacrament läßt sich nichts näheres bestimmen. Hinsichtlich des Meßopfers ließen sich die Tractarianer sehr verschieden aus, dagegen nahmen sie außer den »evangelischen« Sacramenten (Taufe u. Abendmahl) auch die 5 übrigen mindestens als Sacramentalien an, befürworteten die Ohrenbeichte, den Cölibat, theilweise die Autorität des Papstes, standen hinsichtlich der Lehren von der Anrufung der Heiligen, vom Fegfeuer, von der Fürbitte für Verstorbene, Bilder- und Reliquienverehrung sowie des Ablasses mehr oder minder auf kath. Boden, sehr entschieden jedenfalls in Bezug auf Cultus u. Liturgie. Durch anerkannt ausgezeichnete Gelehrte vertreten, gewann der T. von Oxford aus ungemeine Verbreitung; 1843 begann gegen ihn als eine antiprotestant. Richtung der Widerstand der anglikan. Bischöfe, er vermochte jedoch die Bewegung durch kein Mittel zum Stillstande zu bringen, sondern förderte zumeist die zahlreichen Rücktritte zur kath. Kirche. Vergl. Großbritannien im III. Bd. S. 163.
http://www.zeno.org/Herder-1854.