Kirchengeschichte

Kirchengeschichte

Kirchengeschichte, die wissenschaftliche Darstellung vom Werden u. Wachsen des Reiches Gottes auf Erden durch die von Christo gestiftete Kirche. Man unterscheidet näher eine äußere u. innere K.; erstere erzählt die Ausbreitung des Christenthums über die Völker der Erde und die äußern Schicksale der Kirche, letztere die Entwicklung des kirchlichen Lehrbegriffes (Dogmengeschichte, Ketzergeschichte) u. des Cultus (Cultgeschichte) u. beide vereinigen sich zur Darstellung des weltumgestaltenden Einflusses, den die Kirche auf Staat, Wissenschaft, Kunst und Leben ausübte. Der Franzose Natalis Alexander sowie Stolberg haben die jüdische Geschichte als Vorgeschichte dieser allgemeinen od. Universal-K. behandelt, gewöhnlich aber wird die K. mit Christus begonnen und in 3 großen Zeiträumen (von der Gründung der Kirche bis auf Karl d. Gr., von Karl d. Gr. bis zur Reformation, von Luthers Auftreten bis zur Gegenwart) behandelt, deren jeder wiederum in Perioden, Zeitabschnitte u. dgl. zerfällt. Was von der Geschichte überhaupt hinsichtlich ihres Umfanges (allgemeine Geschichte. Spezialgeschichten), der Quellen, Hilfswissenschaften u. Methoden gesagt werden kann. gilt auch von der K.; wir bemerken nur, daß die K. neben den menschlichen Quellen eine göttliche hat, nämlich die Bibel. Der Zusammenhang zwischen der Profangeschichte u. K. ist so eng, daß keine ohne die andere verstanden werden kann, denn die religiöse Anschauung und Haltung eines Volkes übt Einfluß auf alle Lebensverhältnisse desselben aus, die Art der Kriegsführung, die industriellen Bestrebungen u. dergl. keineswegs ausgenommen; der Unterschied zwischen der weltlichen Geschichte u. K. trat erst seit dem 16. Jahrh. bestimmt und schroff zu Tage, je mehr die mittelalterliche Verschmelzung von Staat und Kirche aufhörte, neue Kirchen der alten gegenübertraten u. die universelle Bedeutung der letztern angezweifelt u. verkannt wurde; derselbe läuft aber wesentlich nur darauf hinaus, daß die Profangeschichte vorherrschend das staatliche, politische, industrielle u. allgemein-wissenschaftliche Leben ins Auge faßt. die K. vorherrschend das schildert. was mit dem religiösen u. kirchlichen Leben im unmittelbarsten Zusammenhange steht. Die namhaftesten Kirchenhistoriker des 1. Zeitraumes waren neben den Verfassern der hl. Schriften die Griechen, vor allen Eusebius von Cäsarea (s. d.) u. dessen Fortsetzer Sokrates, Hermias Sozomenus, der gelehrte Theodoret, zuletzt der Sachwalter Evagrius. Bei den Lateinern erwarb Sulpitius Severus durch seine historia sacra, worin er die Weltgeschichte von Adam bis 400 n. Chr. abhandelte. den Beinamen des christlichen Sallust, neben ihm verdienen nur noch Cassiodorus u. Dionysius exiguus (s. d.), letzterer wegen seinen chronologischen Leistungen, genannt zu werden. Während des ganzen 2. Zeitraumes, vom 8. bis zum 16. Jahrh., hatten die Griechen nur noch einen einzigen Kirchenhistoriker, den Nicephorus Callisti, welcher um 1350 in Konstantinopel den Eusebius ausschrieb und nebenbei jetzt verlorene Quellen benützte (Codex in Wien, lat. Ausgabe durch Joh. Lang, Basel 1561), aber die Chroniken der Byzantiner (s. d.) sind voll von kirchlichen Nachrichten. Die geschichtlichen Werke des Abendlandes tragen durchweg ein kirchengeschichtliches Gepräge; so ist die fränkische Chronik des Gregor von Tours (st. 595) so ziemlich eine Volks-K.; ähnlich schrieben Beda venerabilis (st. 735), Paul Diaconus (st. 799) Flodoard (st. 966) aber eine beachtenswerthe historia ecclesiae Remensis u. die zahlreichen Annalen, Chroniken und Lebensbeschreibungen des Mittelalters (die meisten sind abgedruckt in großen Sammelwerken, namentlich in denen von Goldast, Freher, Leibnitz, Muratori, Mabillon u.a., theilweise abgedruckt u. noch zu erwarten in den von Pertz herausgegebenen Monumenta Germaniae historica) bleiben eine unerschöpfliche Fundgrube für die K. Hatten im Mittelalter nur sehr wenige Versuche stattgefunden, allgemeine K.n zu schreiben, so daß kaum Haymo von Halberstadt (st. 853), der röm. Bibliothekar Anastasius (st. um 886), Adam von Bremen (s. d.), der Engländer Oderik Vitalis (st. nach 1142) und Bartholomäus von Lukka (st. 1327) zu nennen sind, so wurde dies vom 15. Jahrh. an anders, indem das Wiederaufleben der classischen Studien sowie die Erfindung der Buchdruckerkunst den Wissenschaften überhaupt, die Reformation der K. insbesondere einen großartigen Aufschwung verlieh. Schon in der Summa historialis, worin Antonius von Florenz (st. 1450) die Weltgeschichte von Adam bis 1439 n. Chr. behandelte, zeigt sich der Einfluß griechischer Bildung; Laurentius Valla (st. 1456) weckte die historische Kritik, der Benedictiner Tritenheim (st. 1516) studierte die Quellen, der Domherr Albrecht Cranz (st. 1517) wendete sich in einer K. von Norddeutschland zornig gegen die Gebrechen der Kirche. Von der nichtkathol. K. des 3. Zeitraumes gilt im Ganzen Menzels Wort: »Von der Verderbniß der alten Kirche ist Alles gesagt, ist Alles aufgedeckt worden; von den Tugenden. die sie bewahrte, hat man hartnäckig geschwiegen«. Im 16. Jahrh. traten die Centuriatoren (s. Centurien) auf, ihnen entgegen der Cardinal Baronius (s. d.), welcher einerseits Fortsetzer, anderseits neue Gegner an den Lutheranern Kortholt u. Tribbechow sowie an den Reformirten: Casaubon. S. Basnage, Montacutius u.a. fand. Die Jesuiten, Mauriner u. Oratorianer leisteten zumeist nur Vorbereitendes aber Unsterbliches für die K. Von unübersehbar vielen Spezialwerken verdienen die Espanna sagrada (s. Florez) u. Gallia christiana sowie Möhlers Athanasius d. G. und Hurters Innocenz III. besonders hervorgehoben zu werden; von den Bearbeitern der allgemeinen K. in Frankreich: Godeau, der gallikanisch gesinnte Natalis Alexander, der grundgelehrte Tillemont, der für das gebildete Publikum schreibende Cl. Fleury, neuestens der Professor Rohrbacher, dessen Histoire universelle de lʼéglise (Par. 1842–1848) bis zum Jahr 1848 geht. Unter den Italienern glänzten nach Baronius der Cardinal Orsi, Sacharelli, Zola, der Augustiner Berti, der Franzose Graveson, in neuester Zeit Delsignore. In Deutschland begnügten sich die Katholiken lange mit Auszügen aus Baronius, seit Maria Theresias Zeit traten die Josephiner auf, unter denen Dannenmayer (s. d.) am besten schrieb; eine neue Aera begründete der Graf Leopold von Stolberg mit seiner »Geschichte der Religion Jesu Christi« (vom 15. –47. Band fortgesetzt vom Major Kerz. gegenwärtig vom Dr. Brischar in Wien); trefflich schrieb Stolbergs Freund Th. Katerkamp (st. 1834), die Werke von A. Gfrörer u. Döllinger blieben bis jetzt leider unvollendet; die 2 besten vollständigen Handbücher der K. sind von J. J. Ritter (3. Aufl. Bonn 1846) und von I. Alzog (6. Aufl. Mainz 1855. 2 B.). Von den protestantischen Kirchenhistorikern seit dem 18. Jahrh. lieferte das umfassendste Werk Schröckh, dem sich die Rationalisten Tschirner, Henke, Spittler, Stäudlin anschlossen; gelten als die besten Planck (st. 1832) u. A. Neander in Berlin, als der geschmackvollste Hase.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

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