Chemie

Chemie

Chemie, derjenige Theil der allgemeinen Naturwissenschaft, welcher die verschiedenen Arten und Eigenschaften der die gesammte Körperwelt zusammensetzenden Grundstoffe, die Vorgänge u. Gesetze der Verbindungen derselben unter einander zu neuen Körpern, die Eigenschaften dieser letzteren u. die Operationen kennen lehrt, durch welche jene Verbindungen hervorgebracht oder wieder aufgelöst werden (Mischungskunde oder synthetische C., Scheidekunst oder analytische C.). – Wird die C. als Wissenschaft für sich betrachtet, ohne Rücksicht auf praktische Zwecke, so heißt sie reine oder theoretische C., wendet sie aber ihre Lehren zu Zwecken des bürgerlichen Lebens, auf Künste, Gewerbe oder zur Aufhellung anderer Wissenschaften an, so heißt sie die angewandte, oder praktische C. Die letztere enthält wieder verschiedene Benennungen, so: Agricultur- oder Landwirthschaft-C., gerichtliche, polizeiliche, militärische C., medicinische, pharmaceutische, technische C. – Hier die Hauptgrundzüge der theoretischen C. Die C. vermag die meisten auf der Erde vorkommenden Körper in ungleichartige Bestandtheile zu zerlegen, es heißen daher jene Körper zusammengesetzte Körper; durch das Zerlegen derselben ist man aber zuletzt auf Stoffe gekommen, welche die C. einstweilen nicht weiter mehr in ungleichartige Bestandtheile trennen kann, und welche deßhalb einfache Stoffe od. chemische Elemente genannt werden. Solcher Elemente sind bis jetzt 64 bekannt, und aus ihren verschiedenen Verbindungen sind alle sowohl unorganischen als organischen Körper gebildet. Bei weitem die meisten gehören den unorganischen Körpern an, den organischen nur wenige wie Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Sämmtliche Elemente zerfallen in 2 Hauptgruppen, in Nichtmetalle und Metalle. 1) Nichtmetallische Elemente; sie haben keinen Metallglanz, leiten die Wärme schlecht und die Elektricität nicht. Dahin gehören: Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel, Selen, Phosphor, Bor, Kiesel, Chlor, Jod, Brom, Fluor. Die letzten 4 heißen auch salzbildende Körper, weil sie sich mit den Metallen direct zu Salzen verbinden. 2) Metalle; sie haben eigenthümlichen (metallischen) Glanz, leiten Wärme und Electricität gut. Diese zerfallen wieder in 3 Abtheilungen. a. Metalle der Alkalien: Kalium, Natrium, Lithium; b. Metalle der alkalischen Erden: Barium, Strontium, Calcium, Magnesium; c. Metalle der Erden: Aluminium, Beryllium, Zirconium, Yttrium, Thorium, Erbium, Terbium, Donarium, Norium; d. schwerere Metalle; mit viel bedeutenderem specifischem Gewicht als die oben genannten (zwischen 5 und 23, das specifische Gewicht des Wassers gleich angenommen), u. viel geringerer Neigung sich mit Sauerstoff zu verbinden: Eisen, Kobalt, Mangan, Nickel, Zink, Kupfer, Kadmium, Blei, Zinn, Wißmuth, Chrom, Titan, Venadium, Wolfram, Molybdän, Tellur, Arsen, Antimon, Uran, Cerium, Lantan, Didym, Tantal, Niobium, Pelopium, Quecksilber, Silber, Gold, Platin, Palladium, Iridium, Osmium, Rhodium, Ruthenium. – Jeder dieser einfachen Stoffe hat die Fähigkeit, sich mit gewissen andern Elementen, aber nicht mit allen andern, chemisch zu verbinden (chemische Verwandtschaft oder Affinität), durch welche Verbindung dann ein neuer Körper entsteht. Damit aber die chemische Verwandtschaft zwischen 2 oder mehreren Körpern in Thätigkeit treten, und so eine chemische Verbindung dieser Körper erfolgen könne, ist es nöthig, daß sich die kleinsten Theilchen derselben einander berühren, was am meisten stattfindet bei flüssiger Beschaffenheit der Körper. Erfolgt nun eine solche Verbindung, so heißt man dies einen chemischen Prozeß, und den neu entstandenen Körper chemisches Product. Wird zu einer Verbindung zweier Stoffe (zu einem zusammengesetzten Körper) ein dritter Stoff gebracht, so ist es oft der Fall, daß jene Verbindung getrennt wird u. der dritte Stoff sich mit einem jener 2 Stoffe verbindet; da der dritte Stoff unter jenen zweien gleichsam zu wählen scheint, so nennt man dies chemische Wahlverwandtschaft. Die Wahlverwandtschaft wird deßhalb besonders benützt zur Trennung zusammengesetzter Körper in der analytischen C. – Die Elemente, welche chemische Verwandtschaft zu einander haben, lassen sich indeß nicht in jedem beliebigen Gewichtsverhältnisse verbinden, sondern nur in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen, nach bestimmten Gewichtstheilen. Um diese für alle Elemente in festen Zahlen bestimmen zu können, haben die Chemiker das Mischungsverhältniß des Wasserstoffs gleich 1 angenommen. Man hat nun gefunden, daß z.B. 1 Gewichtstheil Wasserstoff 8 Gewichtstheile Sauerstoff nöthig hat, um die niederste Sauerstoffverbindung, das Wasser, zu bilden; ferner, daß 8 Gewichtstheile Sauerstoff, mit 6 Gewichtstheilen Kohlenstoff die niederste Sauerstoffverbindung des Kohlenstoffs, das Kohlenoxyd, bilden etc. Jene Zahlen nun, welche die Gewichtsmengen ausdrücken, in denen sich die Elemente in ihrer kleinsten Quantität mit andern verbinden, heißen die Mischungsgewichte der Elemente; das Mischungsgewicht des Wasserstoffs ist somit = 1, des Sauerstoffes = 8, des Kohlenstoffes = 6 etc., und man sagt: 1 Mischungsgewicht Kohlenstoff verbindet sich mit 1 Mischungsgewicht Sauerstoff zu Kohlenoxyd. Diese Verhältnißzahlen, in denen sich die Elemente mit einander verbinden, heißen auch Aequivalente. Sämmtliche durch chemische Verbindung der Elemente gebildete Körper lassen sich zunächst in 2 Hauptabtheilungen bringen, in unorganische u. organische Verbindungen. Unorganische sind solche, welche in der leblosen Natur vorkommen und sich durch die Kunst, durch unmittelbare Verbindung ihrer Elemente, darstellen lassen. Die organischen Verbindungen dagegen kommen nur in der lebenden Natur, bei Thieren und Pflanzen vor, und können nicht künstlich, durch unmittelbare Verbindung ihrer Elemente, dargestellt werden. In der unorganischen Körperwelt sehen wir immer zunächst nur 2 Elemente sich vereinigen (binäre Verbindungen). Eine blos aus 2 Elementen bestehende Verbindung heißt eine Verbindung erster Ordnung, z.B. die Schwefelsäure (aus Schwefel und Sauerstoff), das Natron (aus Natrium u. Sauerstoff bestehend). Vereinigen sich 2 solche Verbindungen erster Ordnung mit einander, so entsteht eine Verbindung zweiter Ordnung, so das schwefelsaure Natron (Glaubersalz). So weiter gehend gibt es noch Verbindungen 3. und 4. Ordnung. In den organischen Verbindungen dagegen sehen wir aus mehreren Elementen zusammengesetzte Körper die Rolle von einfachen spielen (zusammengesetzte Radicale), die dann ganz auf dieselbe Weise, wie einfache Stoffe, sich wieder mit einfachen verbinden. – Alle binären Verbindungen erster Ordnung lassen sich unterscheiden in Säuren, Basen, neutrale Verbindungen, Haloidsalze, Schwefelmetalle und Legierungen. Die 3 ersteren sind hauptsächlich Verbindungen der Elemente mit Sauerstoff, die man im allgemeinen Oxyde nennt. Die Säuren haben meistens sauren Geschmack, röthen Lackmuspapier und verbinden sich mit Basen so, daß die basischen Eigenschaften derselben aufgehoben werden. Der ein Radikal zur Säure machende Stoff ist immer entweder der Sauerstoff oder der Wasserstoff, daher die Säuren in Sauerstoffsäuren und Wasserstoffsäuren zerfallen. Die Säuren sind negativ-elektrisch. – Die Basen sind den Säuren entgegengesetzt, sie haben die Eigenschaft, sich mit den Säuren zu verbinden, und in dieser Verbindung die Eigenschaften der letztern zu vernichten, die Säuren zu neutralisiren. Sie sind positiv-elektrisch. Solche Basen sind die Verbindungen der Alkalimetalle, Erdmetalle u. schweren Metalle mit Sauerstoff (d.h. die Oxyde derselben). Mehrere Metalle haben außer ihren basischen Oxyden auch noch neutrale Oxyde, d.h. solche, die weder sauer noch basisch sind, und welche dann entweder weniger oder mehr Sauerstoff als das basische Oxyd enthalten. – Haloidsalze nennt man die Verbindung der Metalle mit den salzbildenden Körpern (s. oben), z.B. Chlornatrium (unser Kochsalz), Jod-Quecksilber etc., wo also das Salz nicht aus 2 binären Verbindungen besteht, wie die andern Salze, sondern aus 2 einfachen Stoffen. – Schwefelmetalle nennt man die Verbindungen der Metalle mit Schwefel, z.B. Schwefeleisen, Schwefelblei etc. – Legierungen sind die Verbindungen der Metalle unter einander. – Durch Verbindung der Säuren mit den Basen entstehen die Salze, Verbindungen zweiter Ordnung, in denen die Eigenschaften der Säure u. der Base sich gegenseitig vernichtet, neutralisirt haben, so daß der neugebildete Körper, das Salz, nichts mehr von den Eigenschaften der Säure noch der Base hat, so z.B. das Glaubersalz, eine Verbindung von Schwefelsäure und Natron; der Salpeter, Verbindung von Salpetersäure und Kali etc. – Auch die organischen Verbindungen sind entweder Säuren oder Basen, oder indifferent. – Die hohe wissenschaftliche und praktische Bedeutung der C. ist allgemein anerkannt. Künste, Gewerbe, Landwirthschaft schöpfen aus ihr und haben sich mächtig durch dieselbe emporgehoben. Der Physiologie, der Medicin ist sie unentbehrliches Bedürfniß, u. sie hat nicht bloß dem Arzte die wichtigsten Heilstoffe aufgefunden und bereitet, sie hat ihm auch einen tiefern Blick in das Leben des Organismus eröffnet. – Als bloße Zusammenstellung vereinzelter Beobachtungen, was sie in früheren Zeiten allein war, ist die C. uralt (ihre Ausartung in Alchemie s. d. Art.), als eigentliche Wissenschaft aber ist sie die jüngste. Die erste wissenschaftliche Behandlung erhielt sie durch Bayle, Becher und besonders durch Stahl am Ende des 17. Jahrh., die Gründer des sogen. phlogistischen Systems. Große Bereicherung und wissenschaftlichere Gestaltung erlangte sie bald nachher durch Marggraf, Scheele, Cavendish und Priestley, welche namentlich auch die luftförmigen Stoffe untersuchten, und so Lavoisier vorarbeiteten. 1783 endlich trat dieser mit seiner Epoche machenden Entdeckung des eigentlichen Vorgangs beim Verbrennen, dem antiphlogistischen Systeme, auf, und zeigte, im Gegensatz zu dem früheren phlogistischen Systeme, daß ein Körper bei seinem Verbrennen nicht einen Stoff verliere, sondern gegentheils einen andern Stoff, Sauerstoff nämlich, aufnehme, und dadurch genau um so viel schwerer werde, als das Gewicht des aufgenommenen Sauerstoffs beträgt. Von jetzt an machte die C. Riesenschritte, so daß gegenwärtig die C. der unorganischen Verbindungen, die Mineral-C., bereits als abgeschlossen gilt. Auf Lavoisier folgten Bergmann, Klapproth, Vauquelin, Wollaston, Davy; Berzelius vor allen bereicherte die organische wie die unorganische C., gründete die elektrochemische Theorie und erweiterte die Atomenlehre, Richter schuf die Lehre der chemischen Proportionen, und eine Reihe der ausgezeichnetsten Männer erweiterten nun jährlich diese Wissenschaft außerordentlich, außer den genannten besonders Rose, Gmelin, Mitscherlich, Döbereiner, Wöhler, Liebig; in Frankreich Gay-Lussac, Thenard, Dumas, Chevreul, Pelletier, in England Davy, Graham. Einen großartigen Aufschwung nimmt in der neuesten Zeit die organische C. und allen voran steht hierin Liebig.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

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