Waldenser

Waldenser

Waldenser, eine Sekte, die schon zur Apostelzeit od. durch Schüler des Claudius von Turin entstanden sein wollte, in der That aber einem reichen Kaufmanne aus Lyon, Pierre de Vaux, latinis. Petrus Waldus, Ursprung u. Namen verdankt. Ein Unglücksfall bewog diesen, seine ganze Habe wegzugeben, sich einer vermeintlich evangelischen Armuth zu widmen und um 1170 als apostolischer Lehrer aufzutreten. Er ließ die Evangelien mit erläuternden Aussprüchen der Kirchenväter ins Romanische übersetzen u. sammelte um sich Anhänger, Humiliaten (Demuthsvolle), Leonisten (die von Lyon), noch gewöhnlicher Arme von Lyon (pauperes de Lugduno) genannt. Der Erzbischof von Lyon untersagte ihnen das Predigen, aber sie erklärten, man müsse Gott mehr als den Menschen gehorchen und als man ihnen keine Ruhe ließ, so beschwerten sie sich 1179 beim Papste Alexander III. u. übermachten diesem zugleich die Uebersetzung einiger biblischen Bücher mit Glossen. Von Alexander III. zum Gehorsam gegen ihren Bischof ermahnt, wendeten sie sich an seinen Nachfolger Lucius III., wurden aber 1184 auf der Synode zu Verona excommunicirt. Ungeachtet des Bannes setzten die W. ihr Predigen fort und gewannen Anhang selbst im Königreich Aragon, bis Alfons II. sie 1194 als »Feinde des Kreuzes Christi, als Schänder der christlichen Religion und als Feinde des Königs u. des Staates« vertreiben ließ. 1212 versuchten sie bei Innocenz III. abermals die Anerkennung ihrer Conventikel durchzusetzen u. erreichten mindestens so viel, daß ein Zweig der W. in Metz Versammlungen halten und die heilige Schrift lesen durfte. Der Papst hoffte, die evangelische Armuth der W. würde zuletzt zu einem Mönchsgelübde ausschlagen, aber sie zählten bereits viele fanatisirte Köpfe in Südfrankreich, Piemont und der Lombardei und ihre genauer entwickelte Lehre war mit der der Kirche vollkommen unvereinbar: nicht nur daß sie jeden weltlichen Besitz der Geistlichkeit als der evangelischen Armuth zuwider verwarfen und selber den Zehnten unchristlich fanden, sie behaupteten auch, man schulde dem Papst und dem Klerus keinen Gehorsam, weil jeder Christ ein Priester sei und griffen Sacramente und Sacramentalien, Ceremonien, Fast- und Festtage der Kirche an, besonders auch die Beichte; von der Eucharistie aber behaupteten sie, die Verwandlung werde keineswegs durch den Priester, sondern vielmehr durch den würdigen Empfang bewirkt. Die W. theilten sich in Vollkommene u. Unvollkommene, scheinen eine Art Communismus eingeführt zu haben, hatten Vorsteher (Aelteste, Priester, Diakone) ohne besondern priesterlichen Character, hielten den Gottesdienst in der Landessprache, machten die Predigt zur Hauptsache, die Bibel zur einzigen Glaubensquelle. Mit den Katharern wurden sie schwer verfolgt, doch gibt es noch heute W. in der Dauphiné und etwa 22000 in drei Alpenthälern Piemonts (Diöcese Pignerol); sie haben in neuester Zeit viel Gunst von den Engländern erfahren und der Radicalismus unter engl. Schutz setzte durch, daß, nachdem sie durch das königliche Patent vom 17. Februar 1848 vollkommene Religionsfreiheit erhalten, 1848 in Turin der Bau einer Kirche für sie unternommen wurde, die man 1853 pomphaft einweihte. – Vgl. Jean Leger: hist. générale des églises évangéliques de Piémont etc. (Leyd. 1669), Brez: hist. des Vaudois (Lauf. u. Utr. 1796), die Schriften des Bischofs Charvaz (origine dei Valdesi, Turin 1834; le guide du catéchumène vaudois 1839), von Dickhoff (die W. im Mittelalter, Göttg. 1851) u. besonders von Herzog: die romanischen W., Halle 1853.


http://www.zeno.org/Herder-1854.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Waldénser — (Waldesier), eine religiöse Genossenschaft, die ihren Namen einem reichen Bürger von Lyon (Petrus?), Valdes, Valdez oder Waldus, verdankt. Ergriffen von der Legende vom heil. Alexius und der Erzählung vom reichen Jüngling (Matth. 19,21), ließ er… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Waldenser — (v. fr. Vallése, d.i. Thalleute, Thalbewohner), 1) christliche Religionspartei, welche sich im Mittelalter von der Katholischen Kirche lossagte u. welche noch jetzt in Italien u. anderwärts fortbesteht. I. Ihre Entstehung u. Geschichte. Die in… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Waldenser — oder Waldesĭer, reformatorisch gerichtete Sekte, gestiftet um 1177 von Petrus Waldus (Valdez) in Lyon als religiöse Genossenschaft zur Predigt des Evangeliums und zur Reform der kath. Kirche durch Rückkehr zur apostolischen Armut und Einfachheit …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Waldenser — Waldenser, eine christliche Secte, die ihren Namen von deren Gründer, Petrus Waldus, einem reichen Bürger in Lyon, ableitet, sich im 12. Jahrhunderte bildete und folgende Satzungen hatte: Freiwillige Armuth, Verbesserung der Sitten, Predigten in… …   Damen Conversations Lexikon

  • Waldenser — Das Wappen der Waldenser: Leuchter mit Umschrift Lux lucet in tenebris „Das Licht leuchtet in der Finsternis“ Die Waldenser sind eine protestantische Kirche mit Verbreitung in Italien und Südamerika. Ursprünglich als Gemeinschaft religiöser Laien …   Deutsch Wikipedia

  • Waldenser — Wal|dẹn|ser 〈m. 3〉 Angehöriger einer von Petrus Waldus im 12. Jh. gegründeten Sekte, die ein Gemeinschaftsleben nach urchristl. Vorbild erstrebte, von der Inquisition nahezu vernichtet wurde, seit dem 16. Jh. aber wieder auflebte * * *… …   Universal-Lexikon

  • Waldenser und Katharer im Ketzerkrieg —   Im 12. Jahrhundert verfestigte sich durch die Arbeit der scholastischen Theologen die kirchliche Dogmatik. Dadurch wurde der Spielraum für abweichende Meinungen immer kleiner, sodass es Laien kaum mehr wagen konnten, inhaltliche Aussagen zu… …   Universal-Lexikon

  • Waldenser, der — Der Waldénser, des s, plur. ut nom. sing. eine Art Ketzer, (nach Römischen Begriffen,) welche vornehmlich von dem 12ten Jahrhundert an bekannt wurden, und sich in vielen Stücken von der herrschenden Kirche absonderten. Gemeiniglich leitet man… …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Waldenser — Wal|dẹn|ser <nach dem Lyoner Kaufmann Petrus Waldes> (Angehöriger einer religiösen Bewegung, die um 1175 in Lyon von Waldes begründet wurde) …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Heilige Inquisition — Wappen der Spanischen Inquisition: Neben dem Kreuz als Symbol für den geistlichen Charakter der Inquisition halten sich Olivenzweig und Schwert die Waage, wodurch das Gleichgewicht zwischen Gnade und Strafe angedeutet werden sollte …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”