- Idealismus
Idealismus, griech.-dtsch., diejenige Weltanschauung, welche bei der Betrachtung und Beurtheilung der Wirklichkeit nicht vom Gegebenen, Erfahrungsmäßigen und Unvollkommenen, sondern vom Seinsollenden, Idealen, Vollkommenen ausgeht; der I. verkennt häufig das Wahre in der Wirklichkeit, stellt sich derselben unversöhnt gegenüber und geräth in ein Labyrinth von Irrthümern und verkehrten Bestrebungen, wenn er selbstgemachte Ideale von vornherein für wahre hält und zu verwirklichen strebt. Der I. ist naturgemäß besonders der Jugend eigen und in seinen folgenschweren Verirrungen liegt eine Anklage gegen religionslose Erziehung, von welchen unsere modernen Erziehungskünstler noch niemals ernstlich Notiz genommen haben. Der I. im angegebenen Sinne zieht sich als Gegensatz des Realismus nicht nur durch die ganze Geschichte der Philosophie, sondern ist die Thesis der Geschichte der Menschheit überhaupt, die Macht, welche im Bunde mit der Religion den Einzelnen, die Völker, die Menschheit im Gebiete der Kunst, Wissenschaft, des staatlichen, politischen und häuslichen Lebens allmälig dem Wahren und Göttlichen zutreibt. Im engern Sinne heißt I. dasjenige philos. System, welches im Gegensatze zum Realismus im engern Sinne nur den Ideen wahres Sein zuschreibt (s. Plato, Aristoteles, Scholastik) oder behauptet, das Seiende und Wirkliche sei lediglich ein Ideales, unsere Vorstellungen davon seien die Frucht unseres eigenen Denkens, eine Behauptung, in welcher das Ich als Absolutes, der denkende Mensch als Gott von vornherein eingeschlossen liegt (s. Berkeley, Kant, Fichte, Schelling, Hegel). In neuester Zeit strebt man nach einer neuen Versöhnung der uralten Gegensätze von I. und Realismus durch einen s. g. Ideal- Realismus, der sich zur Aufgabe gesetzt, die Gedanken nachzudenken, welche Gott im Weltall verwirklichte – bei diesem kühnen Unterfangen aber die göttliche Offenbarung bei Seite liegen läßt, folglich nur eine neue philos. Mißgeburt in die Bücherwelt befördern kann.
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