- Sicilien
Sicilien, Königreich beider S., der bedeutendste italien. Staat, besteht aus Unteritalien oder Neapel, oder S. diesseits der Meerenge ( Faro) mit mehren kleinen Inseln, und der Insel S., ist 2033 QM. groß und hat über 9 Mill. E. Der festländische Theil, Neapel, ist von dem Kirchenstaat, dem adriat. u. mittelländ. Meere begränzt u. zählt auf 1535 QM. über 6800000 E. Neapel wird von den Apenninen durchzogen, die im Norden am höchsten sind und eine natürliche Feste bilden; isolirt steht der Gargano am adriat. und der Vesuv am mittelländischen Meere. Die Flüsse sind nur Küstenflüsse (Garigliano, Volturno, Ofanto etc.). Der Boden ist nicht überall gut, am fruchtbarsten im alten Campanien. Ausgeführt werden Wein, Oel, Seide, Südfrüchte aller Art; die Viehzucht ist von großer Bedeutung, neapolit. Pferde, Maulthiere u. Schafe gehören zu den besseren Racen; das Meer ist außerordentlich reich an Fischen und eßbaren Schalthieren. Von Mineralien gewinnt man Salz, Schwefel, Salpeter, Alaun, Marmor, Alabaster, Bimsstein. Eingetheilt ist das Land in 15 Intendanzen, diese in 53 Bezirke, 540 Kreise, 1847 Gemeinden. Hauptstadt ist Neapel. Das Königreich beider S. ist eine unumschränkte Monarchie, erblich in männlicher und weiblicher Linie. Die Finanzen sind trotz der letzten Revolutionsjahre in sehr guter Ordnung, die Ausgaben jedenfalls nicht größer als die Einnahmen. Das Landheer ist gut ausgerüstet und wohlgeübt, besteht auf dem Friedensfuße aus 56000 Mann aller Waffengattungen und 6 Schweizerregimentern; die Flotte aus 3 Linienschiffen, 5 Fregatten, 12 Dampffregatten u. 12 kleineren Dampfern. – Die Staatsschuld beträgt 138934000 Thlr., das umlaufende Papiergeld 15 Mill. Thlr. Man rechnet nach Ducati; 1 Ducato ist = 100 Grani = 1000 Cavalli = 1 Thlr. 4 Sgr. 4 Pf. = 1 fl. 381/4 kr. C.-M.; 1 Elle, Canna = 10 Palmi = 2,645 Metr., auf der Insel 1 Canna = 8 Palmi = 2,065 Metr.; 1 Cantaro ist = 100 Rottoli = 178,19 Zollpfd., auf der Insel = 158,68 Zollpfd.; 1 Tomolo Getreide = 55,54, auf der Insel = 17,2 Litr.; 1 Baril = 60 Caraffe = 43,6 Litr., 1 Salma Oel = 16 Staja = 161,57 Litr. Die Insel S., zu deren Verwaltungsgebiet die Aegaten, die Liparen und die Insel Pantelaria gehören, wird zu 352–497 QM. Größe berechnet, hat die Form eines Dreiecks (daher der alte Namen Trinakria) und ist von dem Festlande durch die 1/2 M. breite Straße von Messina (Faro) getrennt. Die Insel ist gebirgig, doch erreichen die Spitzen der Gebirgszüge nirgends 4000' Höhe, nur der Vulkan Aetna hat sich über 10000' emporgearbeitet; außer ihm ist der Schlammvulkan Maccaluba thätig, einige andere Vulkane sind erloschen. Die Flüsse sind sämmtlich unbedeutend. Das Klima nähert sich dem tropischen, ist aber gesund; den seltenen Regen ersetzt reichlicher Thau. Der Boden ist fruchtbar, der Ackerbau jedoch sehr mangelhaft, was von der Scheu der Sicilianer vor dem Landleben, dem herrschenden Pacht- u. Afterpachtsystem, der Unsicherheit u. den schlechten Verkehrsmitteln herrührt. Dennoch führt S. Weizen, herrliche Weine, Oel u. Südfrüchte aus. Der Schatz des Mineralreichs ist Schwefel, mit dem S. fast ganz Europa versieht (für 10 Millionen Frcs. jährlich); außerdem wird Marmor, Alaun, Vitriol, Stein- und Seesalz gewonnen. Von Bedeutung ist auch die Thun-, Sardellen- und Korallenfischerei. S. ist in 7 Intendanzen, 24 Bezirke, 178 Kreise, 352 Gemeinden eingetheilt. Universitäten bestehen 3: zu Palermo, Messina u. Catania, außerdem 26 Collegien und Lyceen; im Allgemeinen ist für den Volksunterricht schlecht gesorgt. Die Industrie ist unbedeutend und beschränkt sich fast ausschließlich auf Seide. Der Binnenhandel ist fast null, der einheimische Seehandel besteht in Küstenfahrt. S. hat eigene Administration, an deren Spitze ein Generalstatthalter steht. – Geschichte. Der festländische Theil des Königreichs beider S., das eigentliche Neapel, begriff in alter Zeit Campanien, Samnium, Apulien, Calabrien, Lucanien u. das Land der Bruttier und wurde sammt den griech. Kolonien im 3. Jahrh. von den Römern unterworfen. Die Insel S. war ursprünglich von Sicanern oder Siculern bewohnt, empfing seit dem 8. Jahrh. vor Chr. eine Menge griech. Kolonien und wurde eigentlich eine griech. Insel, die mit dem Mutterlande den lebhaftesten Verkehr unterhielt. Wie in Griechenland so wollte auch in S. jede einzelne Stadt selbständig sein, daher die vielen Kriege, und ebenso wechselten auch die Verfassungen mannigfaltig: Aristokratien, Demokratien, Tyranneien. Der Versuch Athens während des peloponnes. Krieges scheiterte an dem Widerstand der Stadt Syrakus und diese behauptete sich auch im Ganzen siegreich gegen die Karthager, welche seit dem 5. Jahrh. auf der Insel festen Fuß gefaßt und selbst die 2. Stadt S.s, Agrigent, zerstört hatten. Das karthagische Gebiet auf S. eroberten die Römer im 1. pun. Kriege, das syrakusanische im zweiten und die Insel scheint schon zur Zeit des Augustus röm. Sprache und Sitte angenommen zu haben. Im 5. Jahrh. folgte die Herrschaft der Vandalen; 535 unterwarf Belisar S. dem byzantinischen Reiche, dem es im 8. und 9. Jahrh. die Saracenen entrissen, während um Neapel nacheinander von Gothen, Byzantinern, Lombarden und Saracenen gekämpft wurde. Im 11. Jahrh. erschienen die französ. Normannen, zuerst als Söldner der lombard. Herzoge zu Capua und Benevent oder des byzant. Statthalters; 1026 bekam der Normanne Rainulf die Grafschaft Aversa zum Lohne, und als zahlreiche Schaaren nachfolgten, entrissen sie unter dem Hause Hauteville (12 Söhne Tankreds von Hauteville, von denen Wilhelm Eisenarm, Robert Guiskard u. Roger die Hauptrolle spielten) dem byzant. Reiche Unteritalien. 1059 nannte sich Robert Guiskard Herzog von Apulien, während sein Bruder Roger den Saracenen die Insel S. abgewann. Sein Sohn Roger II., der auch die festländischen Eroberungen besaß, nannte sich 1130 König von S., Herzog von Apulien und Calabrien und seine Dynastie dauerte bis 1189, unterstützte den Papst gegen den deutschen Kaiser u. fand in dem Papste seinerseits einen Rückhalt. Das durch Handel u. Gewerbsamkeit, besonders in Seide, blühende Reich erbte u. eroberte der Hohenstaufe Heinrich VI. u. es vorzüglich gewährte Friedrich II. die Mittel zu seinen Unternehmungen in Mittel- und Oberitalien, daher der Sturz der Hohenstaufen u. Ghibellinen nur möglich war, wenn denselben Neapel u. S. entrissen wurde. Dies gelang durch frz. Hilfe; Manfred blieb gegen Karl von Anjou bei Benevent 1266, und 1268 endete Konradin auf dem Blutgerüste zu Neapel. S. riß sich 1282 los u. blieb dem Hause Aragon; in Neapel selbst entwickelte sich das Lehenwesen in der Art, daß die Krone zum Spielball der Großen, das Volk willenlos u. unkriegerisch, das Land der Zankapfel fremder Mächte wurde. König Alfons V. bemächtigte sich 1458 auch Neapels, die Vereinigung der beiden S. dauerte aber nur kurze Zeit, indem Neapel seine eigene aragonische Dynastie hatte, S. aber Nebenland Aragons und später Spaniens wurde. Karl VIII. von Frankreich u. Ludwig XII. machten vergebliche Anstrengungen zur Eroberung Neapels, König Ferdinand V. von Spanien behauptete es 1505 und Neapel blieb span. Nebenland, von einem Vicekönig regiert, bis zum span. Erbfolgekriege. Im Utrechter Frieden erhielt Sardinien S., Oesterreich aber Neapel; S. wurde 1721 gegen die Insel Sardinien an Oesterreich ausgetauscht, beide S. wurden aber (1733–53) von Spanien erobert. Als der Infant Don Carlos 1759 König von Spanien wurde, überließ er seinem Sohne Ferdinand IV. beide S. als unabhängige Königreiche, was dieselben auch, mit Ausnahme der Zeit der franz. Kriege, bis auf den heutigen Tag geblieben sind. Eine bedeutende Rolle hat das Königreich übrigens nie gespielt, indem die inneren Verhältnisse nie in der Weise geändert u. geregelt wurden, daß die natürlichen Hilfsquellen des Reichs u. die Gunst der geograph. Lage von dem Volke hätten gehörig benutzt werden können. Die Siege der Franzosen vertrieben 1798 den Hof nach S. und schufen eine parthenopäische Republik, die Niederlagen derselben, der Aufstand der Calabresen und Lazzaroni führten 1799 den Hof zurück; 1805 wurde er abermals nach S. von Napoleon I. vertrieben, der seinen Bruder Joseph (1806–1808) u. hierauf Joachim Murat (1808–14) als Könige einsetzte. S. behauptete Ferdinand IV. mit Hilfe der Engländer, welche aber wie Herren auf der Insel schalteten und ihm für einige Zeit eine der engl. nachgebildete sicilische Constitution aufnöthigten. 1815 erlangte Ferdinand IV. auch Neapel wieder, vereinigte beide Staaten als Königreich beider S. u. nannte sich Ferdinand I. Das Heer rief 1820 die span. Constitution aus, ein österr. Corps unter Fremont machte aber der constitutionellen Improvisation mit Leichtigkeit ein Ende. Der jetzige König Ferdinand II. (seit 1830) hat bisher Energie u. Einsicht bewiesen, ist deßwegen auch bei den ital. u. anderen Revolutionären am meisten verhaßt (s. d. Art. Ferdinand II., Bd. II. S. 685); nicht minder den Engländern, weil er sie hindert S. zu revolutioniren u. aus der Insel einen engl. Schutzstaat zu machen. (Ueber beide S. vergleiche die Werke von Giannone, Colletta, Amari, Bianchini.)
http://www.zeno.org/Herder-1854.