- Artillerie
Artillerie (ars telorum oder ars tollendi, die Schießkunst, die Kunst schwere Körper zu heben, vielleicht keines von beiden), ist die Wissenschaft von dem Gebrauch und der Einrichtung der Geschütze und personificirt die Mannschaft, welche dieses übt, endlich die Geschütze selbst. Die A. der Alten bestand in Schleudermaschinen und Mauerbrechern, welche auch nach Erfindung des Pulverschis zur letzten Hälfte des 15. Jahrh. gebraucht wurden, wie denn z.B. Mohammed II. Konstantinopel mit den Werkzeugen der alten Belagerungskunst und Kanonen angriff. Im 15. Jahrh. war bereits kein europ. Heer mehr ohne Geschütz. Die ersten Kanonen bestanden aus gerolltem Eisenblech, das mit Reisen umzogen war; doch goß man schon am Schlusse des Jahrhunderts eiserne und broncene Röhren, die beim Gebrauche eine eigene Bettung aus Balken und Erde haben mußten und ohne Laffeten waren; diese wurden Anfangs des 16. Jahrh. erfunden. Die Geschütze vervollkommneten sich mehr und mehr und die Schießkunst gewann besonders durch die Entdeckung des Venetianers Tartaglia, daß die Kanonenkugel nie eine wagrechte Richtung halte, sondern immer einen Bogentheil beschreibe. Mathematiker und Naturforscher beschäftigten sich wetteifernd in Italien, Frankreich, England und Deutschland mit den Verhältnissen der Ladung und Richtung. In dem spanisch-niederländ. Kriege und in dem 30jähr. wurde die A. wesentlich verbessert; man führte leichtere Geschütze, Feldschlangen, die Patronen, und Gustav Adolf das kürzere Kaliber ein. Die Geschützkunde wurde aber immer noch zunftartig erlernt und betrieben; der Constabler lernte bei einem Oberconstabler, erhielt seinen Lehrbrief nach vollendeter Lehrzeit und verdingte sich dann in den Dienst irgend eines Herrn auf eine bestimmte Zeit. Ludwig XIV. ließ ein Regiment A. mit allen dazu gehörigen Handwerkern organisiren, welche Einrichtung nun in allen Staaten von Bedeutung eingeführt ist; die A.-Regimenter theilen sich in Batterien, und diese haben ihre Munitions-, Park-, Laborir- und Handwerkskolonnen. Die Geschütze der Landheere werden in Belagerungs-, Festungs- und Feld-A. eingetheilt. Die Feldbatterien führten sonst kein Kaliber über 12 Pfd., im letzten Kriege haben die Piemontesen aber solches von 16 Pfd. angewandt. So wird auch bei den Haubitzen schwereres Kaliber angewandt, während früher 6–10 Pfd. Haubitzen genügten. Die reitende A. ist erst seit dem 7jähr. Kriege ausgebildet worden, In der Regel rechnet man auf 1000 Mann 3 Geschütze. In neuester Zeit sind die Raketen hinzugekommen, die besonders in den österr. Laboratorien gefertigt werden; die Congrevʼschen und andern Raketen haben dagegen sich nicht bewährt, neuerdings aber soll man es auch in andern Staaten verstehen, Raketen von der Brauchbarkeit der österreichischen zu bereiten. Die Belagerungs-A. ist schwerer; sie führt ein Kaliber von 18–24 Pfd., sehr schwere Haubitzen in neuerer Zeit, als Wurfgeschoß jedoch hauptsächlich Bomben, deren Kaliber und Wurfkraft ungemein ausgebildet wurde. Die Festungs-A. hat jedes Kaliber, von 24 bis 6 Pfd.; die eigentl. Wallgeschütze sind schwerer laffetirt und daher auch weniger beweglich als die Belagerungsgeschütze. Die Küstenbatterien haben wo möglich noch schwereres Kaliber als die Festungs-A.; sie verwenden auch besonders die von Paixhans erfundenen schweren Bombenkanonen. Die Schiffs-A. ist ganz anders laffetirt als die Land-A., und führt ein Kaliber bis 120 Pfd.; die unteren Batterien der großen Kriegsschiffe bestehen aus schwereren Geschützen als die oberen, um das Gleichgewicht des Schiffes weniger zu stören. Die Engländer und Nordamerikaner führen auf dem Verdecke auch die sogen. Karonaden, kurze, nach allen Seiten drehbare Kanonen von schwerem Kaliber. Das Geschütz der Schiffe ist in der Regel aus Eisen, nur bei den Türken aus Bronce. – In neuester Zeit ist die Geschützkunde und die Bewaffnung der Armeen und Flotten wesentlich verbessert worden; außer den Raketenbatterien sind noch die Shrapnels die Begleiter der Kanonen und gewöhnlichen Granaten; es sind Granaten, die mit Kartätschen gefüllt sind und aus der gewöhnlichen Haubitze geworfen werden; beim Bersten sprühen nicht nur die Stücke der Hohlkugel, sondern auch die Kartätschen excentrisch auseinander. In den Gebirgskrieg werden eigens konstruirte leichte Kanonen und tragbare Granatenmörser mitgeführt; durch die letztern sollen die Schützen aus gedeckten Stellungen durch den Bogenwurf vertrieben werden, wo der gewöhnliche Schuß mit der Vollkugel oder Kartätsche nicht einschlagen kann. – Die A.kunde fordert außer der speziellen Geschützkunst zugleich Kenntniß der analytischen Rechenkunst oder Mathematik, der Mechanik und der Chemie. Deßwegen haben alle großen Staaten für die Errichtung guter Schulen dieser Art sehr angelegentlich gesorgt; die erste A.schule war aber in Venedig.
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