- Wolsey
Wolsey (Wulssi), Thomas, der berühmte engl. Staatsmann, geb. 1471 zu Ipswich in der Grafschaft Suffolk, zeichnete sich schon als Student der Theologie zu Oxford durch außerordentliche Talente aus, wurde bereits von Heinrich VII. zu diplomatischen Missionen verwendet und mit einer der einträglichsten Pfründen des Reiches bedacht. Unter Heinrich VIII. schwang er sich rasch zum allmächtigen Minister empor, der klug und gewandt die Geschäfte leitete, dem Könige gegenüber immer zur rechten Zeit nachzugeben wußte und ob den Interessen des Landes die eigenen niemals vergaß; der König überschüttete ihn mit einträglichen Stellen und Ehren, der Papst machte ihn 1515 zum Cardinal, 1518 aber zum päpstlichen Legaten für England u. gestand ihm soviele Rechte zu, daß W. im Grunde der Papst Englands war. Die auswärtigen Höfe buhlten um die Gunst des Lordkanzlers, Frankreich und Spanien zahlten ihm jährlich bedeutende Summen, mehr als einmal brachte es W. dahin, daß sein König der Schiedsrichter in den Streitigkeiten auswärtiger Fürsten, besonders zwischen dem Kaiser und Franz I. von Frankreich, wurde. W. entfaltete eine Pracht, welche der des Königs wenig nachgab; zweimal, nach dem Tode Leos X. u. Adrians VI., bewarb er sich eifrig um die Papstwürde, doch jedesmal vergeblich u. die weltbekannte Ehescheidungsangelegenheit Heinrichs VIII. führte seinen Sturz herbei. In dieser Sache benahm sich W. weder mit der Geschmeidigkeit, die sein Herr an ihm gewohnt war, noch mit der Festigkeit, die einem Kirchenfürsten geziemte; Anna Boleyn u. ihre Verwandten setzten durch, daß W. 1529 seine hohen Aemter und reichen Pfründen verlor u. in sein Bisthum York verwiesen wurde. Seine Gegner waren damit noch keineswegs zufrieden, er sollte als des Hochverrathes angeklagt in den Tower wandern, st. aber 1530 auf der Reise nach London im Kloster von Leicester. Sterbend bereute er, dem Könige treuer gedient zu haben als Gott; die beste Lobrede W.s schöpft Lingard aus der Thatsache, daß seit W.s Sturze des Königs Leidenschaften alle Schranken überschritten. Daß W. den reformatorischen Bestrebungen in England mit Energie entgegentrat, mag ein geringes Verdienst sein, zumal solch Verfahren dem damaligen Willen des Königs, dieses »defensor fidei« gemäß war, dagegen muß man ihm den Ruhm lassen, vieles für Verbesserung der engl. Rechtspflege gethan, als Richter Gerechtigkeit geübt und als Gönner der Wissenschaften durch Errichtung von Lehrstühlen und Collegien sowie durch Unterstützung einheimischer u. fremder Gelehrter (Erasmus) sich verdient gemacht zu haben. Lebensbeschreibungen von G. Cavendish (London 1641, neu durch Sieger, Chiswick 1825, Lond. 1827), R. Fiddes (1724), I. Grove (1742–44, 4 Bde.), I. Galt (1812, 1846) und F. Ch. Laird (pseudonym: G. Howard), London 1824.
http://www.zeno.org/Herder-1854.