- Struve [4]
Struve, Gustav von, der bekannte Revolutionsmann u. Haupturheber des nach ihm benannten bad. Putsches im Sept. 1848, geb. am 11. Oct. 1805 in Livland, studierte in Deutschland, widmete sich der Diplomatie gleich seinem Bruder, dem jetzigen russ. Geschäftsträger in der Schweiz und war längere Zeit Sekretär der oldenburg. Gesandtschaft am Frankfurter Bundestag. Im Anfang der 40ger Jahre ließ er sich plötzlich in Mannheim als Anwalt nieder, beschäftigte sich aber weniger mit Processen als mit der Phrenologie und Publicistik. Als Redactor des Mannheimer Journals predigte er Versöhnung der Liberalen mit der Regierung, wurde einerseits von der radicalen Mannheimer Abendzeitung unaufhörlich angegriffen, anderseits von der Censur schonungslos mitgenommen. Er gründete den »Deutschen Zuschauer«, ein Blatt, das in kluger Form schon 1846 deutlich genug die Republik predigte u. bedeutende Verbreitung gewann, zumal gewisse Skandalgeschichten aus höhern Regionen seine Spalten füllten. Vor allem unter der Jugend machte S. Propaganda für die Demokratie; er zog sie an schon durch die Einfachheit seines äußern Auftretens u. Sonderbarkeiten in seiner Lebensweise (wie er z.B. kein Fleisch aß, keine geistigen Getränke zu sich nahm u.s.f.), geschweige dadurch, daß er mit ihr turnte, in Heidelberg eine Studentenzeitung gründete und stets kühnere politische Meinungen offenbarte. Im Spätjahr 1847 war sein Einfluß bereits so gestiegen, daß er Namhaftes zu der Scheidung der Opposition innerhalb u. außerhalb der 2. bad. Kammer in eine liberale (constitutionelle) und radicale (republikanisch-socialistische) Partei beitrug. Die Februarrevolution machte den Mann vollends zum hirnverbrannten Fanatiker und Jakobiner, übrigens zu einem, der zu schieben glaubte und doch zumeist geschoben wurde. Mit F. Hecker (s. d.) entfaltete er eine unglaubliche Thätigkeit für die Verstärkung u. Organisation der demokratischen Partei u. half im April 1848 den sog. Heckerzug zusammentrommeln. Nach dem Mißlingen desselben gefangen, wirkte er neben Hecker mit K. Heinzen, F. Neef, Löwenfels u.a.m. von der Schweizergränze aus für »Schilderhebungen«, allein die Eifersucht zwischen Hecker u. ihm schied schon die Flüchtlinge in 2 Parteien. Fast gleichzeitig mit dem Losbruch des Frankfurter Septemberputsches zog S. mit kaum 20 Anhängern über die Gränze und brachte durch terroristische Maßregeln den S.-putsch zu Stande, der jedoch mit dem Gefechte bei Staufen am 24. Septbr. 1848 rasch und kläglich endigte. S. selbst wurde am Tage darauf mit seiner Frau, der treuen Gefährtin seiner politischen Irrfahrten, und einigen seiner vornehmsten Anhänger, darunter K. Blind (s. d.), gefangen, am 30. März 1849 vom Geschwornengerichte zu Freiburg i. B. zu 8 Jahren gemeinen Zuchthauses (= 5 Jahren 4 Monaten einsamer Hast) verurtheilt, aber schon am 24. Mai in Folge der Mairevolution durch Soldaten aus dem Kerker zu Bruchsal befreit. Die erwünschte Stellung während dieses Aufstandes gewann S. keineswegs, weil nicht die rothen, sondern die sog. honnêten Republikaner, deren Hauptvertreter der Advokat L. Brentano (s. d.) war, das Heft in Händen hatten. Umsonst suchte S. am 6. Juni zu Karlsruhe mit hergelaufenem Gesindel aller Art die provisorische Regierung zu stürzen; erst in den letzten Tagen der Katastrophe wurde er durch eine Nachwahl Mitglied der sog. constituirenden Versammlung, erlebte den Schmerz, daß er nur eine einzige Stimme davontrug, als es sich um die Wahl von »Dictatoren« handelte und begab sich sofort in die Schweiz, von hier ausgewiesen nach England, 1851 nach Amerika. Gegenwärtig haust er als Literat und Buchhändler in Newyork, hat bereits eine »Weltgeschichte« in einer Reihe von Bänden vom Stapel gelassen, die Nordamerikaner in der Schrift »Die Union vor dem Forum des gesunden Menschenverstandes« tüchtig durchgehechelt und sein altes Lied wider alle »Fürsten u. Pfaffen unter dem Monde« unbeirrt durch alle Enttäuschungen und Erlebnisse im Lande der Freiheit stets fortgesungen.
http://www.zeno.org/Herder-1854.