Römisches Recht

Römisches Recht

Römisches Recht: das Recht des röm. Volkes vom Beginn des Staates bis zum Untergang; im engeren Sinne die von Kaiser Justinian veranstaltete und durch seine Gesetze sowie spätere kaiserl. Constitutionen vermehrte Rechtssammlung, welche vorzugsweise das Civilrecht, aber auch das Criminalrecht sowie den Civil- und Criminalproceß um faßt. Alles r. R. unterschied sich in das jus civile, das dem röm. Volke eigenthümliche, im engsten Sinne das durch seine Juristen eingeführte Recht, und in das jus gentium, das allen Völkern gemeinsame, wesentlich von Prätoren gepflegte, auch soviel als Naturrecht. – Geschichte. Lange beruhte das Recht der frühesten Zeit auf Volkssitte, Gewohnheit und den Gesetzen der Könige (leges regiae); 400 Jahre nach Roms Erbauung (300 v. Chr.) wurden die Zwölftafelgesetze, die fortan die Grundlage des r. R.s bilden, von den decemviri legibus scribundis abgefaßt u. in den Centuriat-Comitien bestätigt. Der weitere Ausbau erfolgte durch die leges der höhern sowie durch die plebiscita der niedern Comitien, während der Republik und unter den frühern Kaisern durch senatusconsulta, dann durch die edicta der Magistrate (praetor urbanus und peregrinus) und die Constitutiones der Kaiser. Daneben erlangten die Juristen durch Verarbeitung des R.s hohe Bedeutung, zunächst nur durch die wissenschaftliche Evidenz ihrer Gedanken und Sätze (classische Zeit gegen Ende der Republik und in den ersten Jahrhunderten unter den Kaisern, besonders von Hadrian bis Al. Severus); dann aber wurde ihnen das jus respondendi verliehen und es kam immer mehr in Uebung, auf ihre responsa als auf Autoritäten sich zu berufen, bis endlich Kaiser Justinian die Anfertigung seines großen Rechtsbuches (s. Pandekten, corpus juris) befahl, womit nebst den späteren kaiserl. Constitutionen u. Novellen die R.sbildung abschloß. Die namhaftesten Juristen waren Ulpian, Paulus, Papinian, Julian, Scävola, Pomponius, Gajus; es entwickelten sich unter ihnen in den Grundansichten über Ableitung und Anwendung des Rechts controverse Schulen wie die der Sabinianer, Cassianer u. Proculejaner. Nach mancherlei Stürmen erwachte besonders im 12. Jahrh. in Italien (Bologna, Ravenna) aufs Neue das Studium des r. R.s unter der Pflege der Glossatoren (Irnerius, Bulgarus, Accursius), welche den Text der r. R.sbücher kritisch berichtigten u. mit sacherklärenden Randglossen versahen und dies mit solchem Ansehen, daß der Satz entstand, nur das glossirte Recht besitze Gültigkeit (quod non agnoscit glossa, id nec agnoscit curia). – Aufkommen des r. R.s in Deutschland. Vom 13. Jahrh. an wird von Italien her einige Kenntniß des r. R.s auch in Deutschland verbreitet; der Sachsenspiegel ist noch völlig rein von diesem Einfluß, im Schwabenspiegel aber und den folgenden R.sbüchern spürt man die steigende Autorität der röm. Meister. Seit Mitte des 15. Jahrh. wendet sich die junge deutsche Wissenschaft mehr und mehr dem r. R. zu, das einheimische deutsche R. wird von den Doctores vernachlässigt, zwar niemals aufgehoben, aber die gelehrten Richter kannten und achteten es nicht mehr und in der Wissenschaft, in Räthen und Gerichten erlangte das r. R. alle Autorität. So ging die Reception des r. R.s als eines gemeinen R.s vorzüglich seit dem 16. Jahrh. vor sich; es galt nicht mehr bloß als wissenschaftliches, als höchst gebildetes Recht (ratio scripta), sondern es erlangte die Gesetzgebung Justinians legale Autorität, wie als ob Kaiser und Reich sie als deutsches Reichsgesetz verkündigt hätten. Im 16. u. 17. Jahrh. erreichte diese Unterwürfigkeit den tiefsten Grad. Seit Mitte des 18. u. vorzüglich des 19. Jahrh. nimmt eine entgegengesetzte Richtung zu. Die legale Autorität des corpus juris wird in großen Staaten (Preußen, Oesterreich) gesetzlich aufgehoben, das r. R. mehr und mehr wieder zu einem bloßen Gegenstande der Wissenschaft, die Bedeutung des deutschen Rechts fängt an zu steigen. – Gegenwärtige Stellung. Das r. R. ist antiquirt u. gilt in allen denjenigen Rechtsverhältnissen nichts, welche unserer Zeit überhaupt fremd sind, wie z.B. die ganze Sklavenlehre, mancipium u.s.w. Es gilt ebensowenig in den Verhältnissen, welche ihrer Natur nach deutschrechtliche Institutionen sind, wie mehrentheils im Personen-, Familien- u. Sachenrecht. Dagegen findet es als Recht noch Anwendung in den aus dem r. R. wirklich recipirten Institutionen, zwar nicht als Gesetz, sondern als Recht aus der Natur der Sache, wie im Obligationen- und theilweise auch im Erbrecht. Das Studium aber des r. R.s wird bleiben so lange es eine wahrhaftige R.swissenschaft gibt. Die Denkweise, Lebensanschauung u. Entwicklung des großen röm. Volkes spiegelt sich wundersam ab in seinem Rechte, das aus ihm herausgewachsen ist. Für die Juristen allerwärts bietet die consequente Ausbildung der r. R.sinstitute sowie das außerordentliche Maß von Rechtlichkeit, Scharfsinn u. Billigkeit, womit in kurzen schlagenden Worten das den Verhältnissen innewohnende Recht ergründet wurde, ein unerreichtes Muster und eine ewige Schule für Rechtsbehandlung. Endlich ruht das sog. Gemeine Civilrecht noch immer auf dem r. R. und kann ohne Kenntniß des letztern gar nicht verstanden werden. Bedeutendste Schriftsteller: Cujacius, Bynkershoek, Brissonius, Faber, Heineccius, Carpzow, J. H. Böhmer, Leyser, Bach, Gebauer, Höpfner, Spangenberg, Glük, Schweppe, Zimmern, Geib, Mühlenbruch, Puchta, Kierulf, Vangerow, Dirksen, Keller und vor allen Savigny.


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