- Wehrli
Wehrli, Joh. Jakob, geb. 1790 zu Heschikofen im Thurgau, Sohn eines wackern Schulmeisters, ergriff mit Liebe den Beruf seines Vaters, kam 1807 zu Fellenberg nach Hofwyl, dessen Ideen über Armenerziehung er ausführte (vergl. Armenschulen und Hofwyl), daher auch die landwirthschaftlichen Armenschulen vielfach W. schulen genannt werden. 1833 übernahm er die Direction des thurgauischen Schullehrerseminars zu Kreuzlingen u. bestrebte sich in demselben ein Vorbild für die Heranbildung von Landschulmeistern aufzustellen. Die Anstalt sollte so viel als möglich das Abbild einer Familie sein, deßwegen führte er als Hausvater u. seine Gattin (Anna, geb. Schlunegger aus Grindelwald) als Hausmutter die ganze Oekonomie des Instituts, das in der Regel über 60 Zöglinge stark war. Garten- und Feldarbeiten, Anlegung und Verbesserung der Wege im Bereiche der Anstatt, die Besorgung häuslicher Geschäfte, so weit sich solche für Jünglinge eignen, galten nicht als Nebensachen, sondern als wesentliche Bedingungen einer ächten Erziehung zum Landschulmeister, von dem W. Sinn für häusliches Leben, häusliche Arbeit u. häusliche Ordnung, Liebe zum Garten- und Feldbau, Uebung und Kenntniß derselben verlangte; denn jede Arbeit war nach seiner Ueberzeugung ehrenhaft, und außerdem ein Bildungsmittel für Hand, Verstand u. Charakter. Dadurch sollte der Landschulmeister in einem natürlichen Verbande mit dem Volke erhalten u. zur Förderung des Garten- und Ackerbaus sowie guter Sitte um so geeigneter werden. Die Bildung des Herzens war einer seiner pädagogischen Wahlsprüche, er konnte aber das religiöse Moment nicht in seiner vollen Wirksamkeit in Anwendung bringen, weil er eine paritätische Anstalt leitete und daher wurde ihm auch von einer Seite seiner protestantischen Confessionsgenossen (aus Zürich) der Vorwurf gemacht, seine Morgen- u. Abendandachten, sowie seine Behandlung der biblischen Geschichte seien nur Ausflüsse eines (allerdings außergewöhnlich herzlichen) Rationalismus. Dessenungeachtet war seine Einwirkung auf das Gemüth der Zöglinge eine außerordentliche; denn seine ganze persönliche Erscheinung war liebenswürdig, seine Haltung edel, gegen die Zöglinge väterlich ernst und liebreich, seine Sorge und Wachsamkeit über alle und einzelne unermüdlich und unparteisch. Er war ein Gegner der Vielwisserei bei dem Landschulmeister u. glaubte, derselbe nütze mehr durch das, was er thue als was er wisse; dagegen verlangte er Gründlichkeit des unentbehrlichen Wissens und die Kunst dasselbe leicht, klar und anregend mitzutheilen, worin er selbst Meister war. Er hatte eine Vorliebe für Mathematik u. Naturkunde und in Folge davon litt verhältnißmäßig die Pflege des Sprachunterrichts; man tadelte diesen Mangel des Instituts, ohne von befugter Seite W. zur naturgemäßen Abhilfe zu bestimmen und erst, als sich die Verhältnisse bereits trübten, griff man ein u. W. ließ sich gefallen, daß ganz im Widerspruche zu seinen Grundsätzen z.B. ein Stück Beckerscher Grammatik, ein Stück deutscher Literaturgeschichte, ein Stück Nibelungenlied u. dgl. den Zöglingen angeschnallt wurde, so daß er in dieser Hinsicht als Nachtreter seines sonstigen Antipoden Th. Scherr erscheinen mußte. Die Schulmeister des Kantons Thurgau verehrten W. als väterlichen Freund, sie glaubten aber, er wende aus Schwäche seinen Einfluß nicht an, um ihren Gehalt mit den an sie gestellten Anforderungen in Einklang zu bringen, er sei zu nachgibig gegen den Erziehungsrath, welcher eine Kantonsschule fundire, während die Volksschullehrer darbten etc.; sie gesellten sich der damals herrschenden anderweitigen Agitation bei, deren Folge eine Aenderung der Verfassung des Schulgesetzes und des Erziehungsrathes war, an dessen Spitze Th. Scherr (s. d.) gestellt wurde. Begreiflich wollte nun auch W. seine Stellung nicht länger behalten, er zog sich (1852) auf Guggenbühl, das Gut seines Schwiegersohnes, zurück, gründete dort ein Haus u. Privatinstitut, konnte sich aber leider nur eines kurzen Lebensabends erfreuen, denn er st. 16. März 1855 an der Lungenschwindsucht. Seine Ideen über das Volksschulwesen werden für eine künftige Reform desselben gewiß mehre Grundlagen liefern; systematisch hat er sie nie dargestellt, denn er wollte kein Schriftsteller sein, sie lassen sich aber aus einer kleinen Gelegenheitsschrift »Väterliche Worte am Neujahrstage etc.« (Weinfelden bei W. Rueß 1841) vollständig entwickeln. W. gründete auch den thurgauischen landwirthschaftlichen Verein, der größtentheils aus wirklichen Landwirthen besteht und leitete ihn bis zu seinem Tode, ist auch als Stifter der landwirthschaftlichen Armenschule auf Bernrain zu betrachten.
http://www.zeno.org/Herder-1854.