Johanna, die Päpstin

Johanna, die Päpstin

Johanna, die Päpstin, der Gegenstand einer Sage oder vielmehr einer Satire auf das Papstthum, welche die Feindseligkeit oder Beschränktheit besonders im 16. und 18. Jahrh. eifrig benützte, um den Vielen Sand in die Augen zu streuen, die zwischen ewigen Grundsätzen u. Lehren u. den gebrechlichen Trägern derselben keinen Unterschied zu machen wissen. Ein Weibsbild (Herkunft u. Name werden verschieden angegeben) soll mit ihrem Buhlen nach Athen geflohen sein, daselbst in Mannestracht studiert und als Lehrer der Philosophie solche Erfolge errungen haben, daß sie 855 n. Chr. in Rom einmüthig als Johann VIII. der Nachfolger des Papstes Leo IV. (847–55) geworden sei. Nach einer Regierung von 2 Jahren 5 Monaten u. 4 Tagen (nach andern von 2 J. 1 M. und 4 T.) soll die Päpstin während einer Prozession im Lateran niedergekommen. sofort gestorben und begraben worden sein; seitdem aber soll der Papst bei Umgängen den Ort der Niederkunft meiden und jeder Neugewählte hinsichtlich seines Geschlechtes untersucht werden. Diese Erzählung ist so voll Abenteuerlichkeit und plumpen Witzes, daß niemand an eine Widerlegung dachte bis ins 16. Jahrh., wo selbst Bellarmin und Baronius (s. d.) sich mit der Sache befaßten. Fest steht 1) daß erst der Chronist Martin der Pole gegen das Ende des 13. Jahrh, diese Sage aus dem 9. umständlich bringt, welche dann in einzelne Exemplare älterer Chronisten, namentlich des Marianus Scotus und Sigebert von Gemblours, zuletzt in das liber pontificalis des Anastasius. Bibliothekars zu Rom im 9. Jahrh., hineingeschwärzt, von andern nur flüchtig erwähnt wurde; 2) daß aus einer Bildsäule der Päpstin, über deren Vorhandensein, Bedeutung, Zerstörung oder Verwandlung im 16. Jahrh. die Gelehrten ohnehin niemals einig wurden, an und für sich so wenig folgt als aus dem Vorhandensein der sog. sella stercoraria, die im 16. Jahrh. Gegenstand einer sinnvollen Ceremonie wurde; 3) endlich folgte Leo IV. 855 unmittelbar Benedict III. (855–858), wofür eine Gesandtschaft an Kaiser Lothar sowie eine Münze von 855 sprechen, während die Regierung des wirklichen Johann VIII. in die Jahre 872 bis 882 fällt. die Zählung der Päpste dieses Namens aber erst seit dem Gegenpapst Johann Philagathos (s. Johann XVI.) in Verwirrung gerieth. Die besten protestantischen Historiker, ein Leibnitz, Schröckh, Mosheim, Neander u.a. haben die Sage stets als solche behandelt; die annehmbarste Erklärung findet in ihr eine Satire auf Johann XII. (s. d.), zu dessen Zeit thatsächlich Buhlerinen den päpstl. Stuhl inne hatten. Johann XII. reg. 956–64, somit kam die Satire erst im 10. Jahrh. auf. aber durch die Verlegung in das Jahr 855 wurde sie um so beißender u. treffender, indem gegen Johann XII. Leo VIII. und Benedict V. als Gegenpäpste sich erhoben und die Chronologie der Mitte des 9. Jahrh. lange unsicher war. Vgl. Bianchi-Giovini, A., Esame critico degli atti e documenti della papessa Giovanna. Milan. 1845.


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