Thiers [2]

Thiers [2]

Thiers (Thiähr), Louis Adolf, geb. 1797 zu Marseille, Sohn eines Schlossers, zuerst Advocat, kam 1822 mit seinem Freund u. Landsmann Mignet nach Paris u. wurde Mitglied der Gesellschaft »Aide toi« etc., welche sich den Sturz der Bourbons zur Aufgabe gemacht hatte. Durch Laffitte erhielt er Antheil an der Redaction des Constitutionnel, gewann die Gunst des großen Publicums durch die Bearbeitung der Memoiren der Schauspielerin Bellamy (1822), »Les Pyrénées et le Midi de la France« (1823), am meisten jedoch durch seine »Histoire de la révolution en France« (10 Bde., 1823 bis 1825), eine Apologie der Revolution, die ein Meisterstück historischer Kunst ist, aber der historischen Weihe entbehrt, weil jede Partei, wenn sie steigt, Recht, wenn sie fällt, Unrecht hat, indem das unter den gegebenen Umständen jedesmal Erreichbare als Ziel hingestellt wird. Er selbst befolgte diese Maxime wie sein Vorbild Talleyrand, nur nicht mit dem gleichen Scharfblicke; 1830 gründete er mit Carrel den republikanischen »National«, hatte den Muth die Protestation der Redacteure gegen die königlichen Ordonnanzen zu unterzeichnen, wurde unter dem Ministerium Laffitte Unterstaatssekretär, Deputirter für Aix, bald darauf Anhänger der Regierungspartei, 1832 Minister des Innern, als welcher er die Verhaftung der Herzogin v. Berry bewirkte, bald darauf Minister des Handels u. der öffentlichen Arbeiten, 1834 wieder Minister des Innern, 1836 im Februar Chef des Ministeriums, machte aber schon Ende August dem Ministerium Molé Platz, weil König Louis Philipp sich von T. nicht zu einer Intervention in Spanien zu Gunsten Marie Christinens drängen ließ, sondern zu diesem Zwecke nur die Fremdenlegion opferte. Hatte T. bis 1835 alle Maßregeln zur Beschränkung der Volksfreiheit unterstützt, namentlich das Gesetz, welches alle Vereine zu politischen Zwecken verbot, so wandte er sich allmälig zu der sog. Tierspartei (welche im Gegensatze zu der Regierungspartei u. den rechten u. linken Extremen eine sog. parlamentarische Regierung wollte), in deren Sinn er auch sein letztes Ministerium gebildet hatte, zog sich dann kurze Zeit zurück, bis es ihm durch die Coalition der Tierspartei mit der Linken gelang das Ministerium Molé (Sept. 1839) und bald darauf (Febr. 1840) das Ministerium Soult zu stürzen. Als Chef des neuen Ministeriums trat er für die Ansprüche Mehemet Alis den andern europäischen Großmächten gegenüber auf, machte gewaltige Kriegsrüstungen, hatte jedoch den Muth nicht einen rechtzeitigen Schlag gegen England zu führen u. dankte ab, als der König sowie der Mittelstand der Nation keine Luft bezeigten, einen Landkrieg mit ganz Europa zu wagen. Hierauf kehrte T. wieder zu seiner anfänglichen Opponentenrolle zurück, hielt 1846 schneidende Reden gegen die Politik der Regierung in den schweizerischen Wirren, förderte die Agitation für eine Wahlreform, wurde aber durch die Februarrevolution so vollständig überrascht als Odillon Barrot u.a., welche die Agitation betrieben hatten. In den Nationalversammlungen seit 1848 gehörte er zu der sog. Ordnungspartei, sprach sogar für die Republik, weil diese bei dem Gegensatze der Orleanisten u. Legitimisten die alten Parteien gewissermaßen neutralisire, minirte aber für die Orleanisten u. eben so sehr gegen die Fusion (s. d.) als gegen Louis Napoleon, weil er durch sein Verfahren gegen die Herzogin von Berry u. die verächtliche Behandlung Louis Napoleons nach dem Attentate von Straßburg für Heinrich V. wie Napoleon III. als Minister eine unmögliche Person geworden ist. Den 2. Dec. 1851 wurde er kurze Zeit verhaftet, dann verbannt, jedoch bald begnadigt; seit 1845 arbeitet er an seiner »Histoire du Consulat et de l'Empire«, einem Meisterwerke nach Styl u. Anordnung, aber strotzend von frz. Ruhmrednerei, eben deßwegen vielfach ungenau u. ungerecht, jedoch wird T. mehr u. mehr treu und gerecht, je näher die Katastrophe seines Helden rückt.


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