- Roman
Roman, altfrz. romant, bezeichnet ursprünglich eine in r.ischer Mundart und in ungebundener Form abgefaßte poetische Erzählung aus älterer Zeit, zum Unterschied von der Novelle od. derjenigen Art prosaischer Erzählungen, welche in Italien hauptsächlich durch Boccaccio ausgebildet wurde und ihre Stoffe aus den Ereignissen der Gegenwart nahm. Das Wort R. kam mit dem Amadis (s. d.) in der 2. Hälfte des 16. Jahrh. nach Deutschland, die Sache selbst war auch hier schon viel früher vorhanden, da mit dem Sinken der mittelalterlichen Ritterpoesie seit dem 14. Jahrh. die Stoffe derselben prosaisch bearbeitet wurden u. außerdem die dem R. sehr nahe verwandten Volksbücher (Melusine, Magellone, Kaiser Octavianus u.s.f.) entstanden. Was der R. eigentlich sei, ist noch niemals klar und bündig dargethan worden, zumal fast alle möglichen Formen der Darstellung sich mit ihm verschmelzen u. in ihn einschließen lassen und die Zahl der Arten des R.s sich seit dem vorigen Jahrh. fast ins Unübersehbare vermehrt hat. Im Allgemeinen läßt sich sagen, der R., unbestritten der Kern der Unterhaltungsliteratur, sei ein zwischen dem Epos und Drama unbestimmt schwebendes Erzeugniß der Dichtkunst in Prosa, mit dem Zwecke, den Charakter und das Leben eines bestimmten Individuums (des Helden, der Heldin) in der Form geschichtlicher Erscheinung poetisch zu gestalten. Diese Erklärung stimmt mindestens mit dem Wesen der frühesten R.e überein und paßt zu Jean Pauls Ausspruch, der R. sei ursprünglich episch, aber zuweilen erzähle statt des Autors der Held und zuweilen erzählten alle Mitspieler. Hat der R. in der Geschichte der Dichtkunst eine ziemlich untergeordnete Bedeutung, so erlangte er dagegen eine sehr hohe culturhistorische, denn in der R. enliteratur spricht sich die Denkweise und der gesellschaftliche Zustand eines bestimmten Zeitalters od. Volkes mittelbar und unmittelbar vielseitiger und lebhafter aus als in irgend einem andern Gebiete der Literatur. Bei den alten Griechen und Römern tauch ten R.e erst nach der Blütezeit ihres staatlichen und literarischen Lebens auf (s. Erotik); bei den neuern Völkern war dies mehr oder minder auch der Fall, allein bei diesen hob sich bis jetzt das gesellschaftliche u. literarische Leben immer wieder empor, neben einer Unmasse von mittelmäßigen Köpfen traten zugleich auch die genialsten als R. schreiber auf u. schufen neue Formen u. Gattungen dieser Dichtungsart, so daß dieselbe gegenwärtig die am meisten angebaute und einflußreichste genannt werden darf. In Deutschland gab es im 15. u. 16. Jahrh. vorherrschend Uebersetzungen italienischer, franz. u. span. R.e, mit dem 17. Jahrh. trat die R.enliteratur ganz und gar an die Stelle der Heldensage und des Heldenliedes. Philipp von Zesen lieferte 1645 mit seinem »adriatischen Rosemund« den ersten deutschen R., der zugleich eine Liebesgeschichte u. dabei gräuelhaft abgeschmackter Art war; er ließ diesem die Assenat, eine in Aegypten spielende Staats- und Liebesgeschichte u.a. folgen, fand Leser genug u. hatte Anstoß zu einer endlosen Reihe von langweiligen Helden- und Staats-R.en gegeben, von denen die Aramena (1669) des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig noch 1782 einen Umarbeiter fand, und Lohensteins: Arminius und Thusnelda (1689) der erträglichste war, falls man den Simplicissimus aus der kläglichen Gesellschaft der R.e dieser Zeit ganz heraushebt. Schon 1670 eröffnete Hagdorn mit seinem: Aeyquam od. der große Mogul, den historisch-politischen R., der bis um 1720 außerordentlichen Beifall hatte und gerade so mumisirt u. pedantisch war wie das politische Leben jener Zeit im deutschen Reich. Glücklicherweise drängten ihn die Robinsonaden (s. Robinson Crusoë) u. Aventuriergeschichten aus dem Vordergrund, diesen bereitete der empfindsame R., diesem in der Sturm- u. Drangperiode der Ritter-, Räuber-, Kloster- und Gespenster-R. das gleiche Loos, der noch heute neben den Familien-R.en und zahllosen Uebersetzungen engl. und französ. R.e das hauptsächlichste Lesefutter des großen Haufens ausmacht. Während die R.e von Göthe, Klinger u.s.f. u. die unter engl. Einfluß erwachsenen humoristischen R.e von Hippel, Jean Paul, Bentzel-Sternau, Ulrich Hegner u.s.f. selten gelesen werden, kam seit Walter Scotts Tagen der historische R. und neben ihm der Tendenz-R. zur Ausbildung und zu jener Herrschaft, die er gegenwärtig beim gebildeteren Publikum behauptet.
http://www.zeno.org/Herder-1854.